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Politik: „Frühwarnsystem gegen Rechtsextreme“

BKA-Chef Ziercke über den Kampf gegen Neonazis, die NPD und islamistischen Terror in Deutschland

Herr Ziercke, die rechte Szene wird stärker. Wie reagiert das Bundeskriminalamt?

Rechtsextremismus und islamistischem Terrorismus müssen wir die gleiche Aufmerksamkeit widmen. Natürlich kann man rechtsextreme Straßengewalt nicht mit islamistischen Anschlägen gleichsetzen. Dennoch zeigen das BKA und die Polizei insgesamt – auch angesichts des Auftretens der NPD in Sachsen – eine besondere Sensibilität.

Das BKA hat nach dem 11. September seine Kräfte auf die Bekämpfung des islamistischen Terrors konzentriert. Werden sich nun wieder mehr Beamte mit dem Rechtsextremismus befassen?

Es gab nach dem 11. September personelle Verschiebungen, doch wir haben uns weiter intensiv mit den Erscheinungsformen des Rechtsextremismus befasst, vor allem der Musik, den Kameradschaften, dem Agieren im Internet. Wir prüfen aber ständig, ob und in welchen Bereichen wir uns noch stärker positionieren müssen. Das BKA wird ein Frühwarnsystem aufbauen, das die Entwicklung beim Rechtsextremismus einbezieht. Wir werden auch weitere Analyseprojekte prüfen, denn wir wollen die Strukturen der Szene intensiv durchdringen.

Gegen die Hetze der Neonazis im Internet sind Sie auf die Zusammenarbeit mit dem Ausland angewiesen.

Das ist manchmal sehr schwer. In den USA ist die Meinungsfreiheit viel weiter gefasst, auch in Dänemark. Davon profitieren Neonazis, die dort Seiten ins Internet stellen, deren Inhalte in der Bundesrepublik strafbar sind. Bei deutschen Providern hingegen findet das BKA Gehör. Aber das BKA möchte auch, dass Provider mindestens sechs Monate ihre Daten speichern müssen, damit beweiskräftig ermittelt werden kann, wer wann auf strafbare Websites zugegriffen hat.

Brandenburg hat am Mittwoch eine deutliche Zunahme rechter Gewalttaten gemeldet. Wie sieht es bundesweit aus?

Das bundesweite Lagebild wird derzeit erstellt, der Bundesinnenminister wird diese Zahlen veröffentlichen. Das Niveau der Straftaten und vor allem der Gewaltdelikte war trotz der festgestellten Rückgänge bereits 2003 und 2002 zu hoch. Allerdings gibt es weiterhin keine rechtsterroristischen Strukturen.

In welchem Maße ist die NPD für rechte Kriminalität mitverantwortlich?

Uns fällt eine bedenkliche Entwicklung auf. Die NPD hat Zulauf aus der unorganisierten Neonazi-Szene, einige Leute werden sogar in Parteiämter aufgenommen. Damit kommen auch andere Rechtsextremisten, vor allem Skinheads, dichter an die NPD heran. Das bedeutet: Bei Aufmärschen der NPD wächst durch diese Personen das Gewaltpotenzial. Wenn dann Neonazis und Skinheads die Polizei angreifen, muss sich die NPD dies zurechnen lassen. Außerdem sehe ich, dass sich die linksextreme Gewalt aufschaukelt.

Könnten ein NPD-Verbot und ein schärferes Versammlungsrecht dazu beitragen, die rechte Kriminalität einzudämmen?

Die Chancen eines zweiten Verbotsverfahrens möchte ich nicht bewerten. Beim Versammlungsrecht sind die aktuellen Pläne genau auf der richtigen Linie. Es gibt Orte wie das Holocaust-Mahnmal, an denen es unerträglich ist, Aufmärsche von Neonazis dulden zu müssen. Da müssen wir dringend ein Signal setzen.

Apropos verhindern. Das BKA hat in der Visa-Affäre früh vor Missbrauch gewarnt, aber es kursieren verschiedene Angaben über den Ablauf. Klären Sie uns mal auf.

Es gibt einen Untersuchungsausschuss, es gibt Gerichtsverfahren. Zu dem Thema äußere ich mich jetzt nicht.

Schade. Auch die Visa-Affäre hat ja schon mit Terrorismus zu tun. Wie groß ist denn die Terrorgefahr in Deutschland?

Es gibt hier möglicherweise Terrorzellen, die wir noch nicht erkannt haben. Die Dimension der Gefahr zeigt sich auch daran, dass bereits 160 Ermittlungsverfahren mit islamistischem Hintergrund geführt werden.

Seit Dezember vergangenen Jahres betreiben BKA und Verfassungsschutz in Berlin Analysezentren zur Terrorabwehr. Wie läuft die Kooperation?

Das gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum läuft sehr gut. Wir werten täglich gemeinsam Erkenntnisse aus, versuchen Netzwerke zu erkennen, erstellen Personenprofile, verfolgen Reisewege. Jede Behörde kann dann auf ihren eigenen Apparat zurückgreifen. Dieses Modell ist einmalig in Europa.

Wenn die Analysezentren funktionieren, warum fordern Sie dann noch zusätzliche Ermittlungskompetenzen für das BKA?

Im Zentrum wird analysiert und es findet ein enger Informationsaustausch statt, aber das Zentrum hat keine operativen Befugnisse. Das BKA erhält hochsensible Hinweise aus dem Ausland oft nur über persönliche Kontakte. Wenn noch kein Hinweis auf eine Straftat vorliegt, darf das BKA präventiv nichts machen, wir müssen diese vertraulichen Informationen an die Länder weitergeben. Das verstehen unsere ausländischen Partner nicht. Zumal: Wenn dann der Generalbundesanwalt eine Straftat feststellt, geht das Verfahren wieder an uns zurück. Wir trennen also künstlich zwischen Prävention und Strafverfolgung. Das ist ein strukturelles Defizit der Terrorbekämpfung. Das muss sich ändern.

Konkret: Wie oft hatten Sie in den vergangenen Jahren deswegen Probleme?

In acht, neun Fällen hätten wir unbedingt handeln müssen.

Zur Terrorabwehr wird auch über eine Islamistendatei diskutiert.

Wir brauchen eine Indexdatei. Dann können wir in Sekunden feststellen, welche Behörde weitere Informationen hat, und dort gezielt anfragen. Das braucht heute noch Tage, weil wir bei allen schriftlich anfragen müssen. Wir hoffen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Datei bis zur Sommerpause geschaffen sind.

Wer und was soll in die Datei?

Die konkreten Inhalte werden zurzeit diskutiert. Wir müssen beispielsweise die Daten von allen Personen, die wir als Gefährder einstufen, einstellen. Die Zahl liegt im niedrigen dreistelligen Bereich.

Das Gespräch führten Frank Jansen und Ingrid Müller.

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