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Funkzellenauswertung: Bei Ermittlungen gängige Praxis

In Berlin werden bei der Fahndung nach Straftätern massenhaft Verbindungsdaten von Handys ausgewertet. Eine richterliche Kontrolle darüber, ob und wie die Polizei die gesammelten Daten wieder löscht, gibt es nicht.

Welches Ausmaß haben Handyüberwachungen in Berlin?

Polizei und Staatsanwaltschaft nutzen dieses Mittel seit Jahren regelmäßig. In wie vielen Fällen Daten von Handyverbindungen von den Telefongesellschaften konkret abgefragt wurden, wollten die Behörden allerdings bisher nicht mitteilen. In der Verwaltung von Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) hieß es, die Zahlen würden „nicht differenziert“ erfasst. Die Polizei legte trotz einer seit Donnerstag laufenden Anfrage des Tagesspiegels bis Freitagabend keine konkreten Zahlen vor. Klar ist, dass die Staatsanwaltschaft die Daten von Mobilfunkzellen seit Jahren standardmäßig abfragt. Bei vermutlich politisch motivierten Autobrandstiftungen ist damit schon 2007 begonnen worden. Erfolgreich waren diese Abfragen nach Angaben eines leitenden Ermittlers nicht. Auch bei anderen Straftaten werden diese Daten bis heute von den Mobilfunkunternehmen angefordert.

Ist dieses Vorgehen der Ermittlungsbehörden allgemein bekannt?
Nein. Nicht einmal dem Landesbeauftragten für Datenschutz, Alexander Dix, war bislang ein solcher Fall der Datenauswertung aus Berlin bekannt, wie dessen Sprecher Joachim-Martin Mehlitz am Freitag sagte. Sven Kohlmeier, SPD-Rechtspolitiker im Abgeordnetenhaus, sagte, er sei von den Erkenntnissen „klar überrascht“. In seiner Tätigkeit als Datenschutzpolitiker sei ihm das, was nun öffentlich bekannt wurde, nie zur Kenntnis gelangt, auch nicht im Datenschutzausschuss des Abgeordnetenhauses. Auch Marion Seelig, Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus für Inneres und Datenschutz, sagt, sie sei „sehr überrascht“. Christopher Lauer, innenpolitischer Sprecher der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus, sagt, Innensenator Frank Henkel müsse nun „komplett blankziehen“ und „alles offen legen“. Er sagte, er sei zwar davon ausgegangen, dass die Polizei Handydaten auswertet. Er sei aber überrascht von dem Ausmaß, das sich nun zeige, und davon, dass die Methode sogar bei Ermittlungen zu Brandstiftungen zum Einsatz komme.

Auf welcher rechtlichen Grundlage vollziehen sich die Handy-Ausspähungen?

Der Gesetzgeber glaubte, europäischen Rechtsnormen von 2006 folgen zu müssen, als er im Jahr 2007 das Telekommunikationsgesetz und die Strafprozessordnung änderte: Sie verpflichteten künftig die Telefondienste zur anlasslosen Speicherung sämtlicher Verkehrsdaten für sechs Monate. Zugleich regelten sie die unmittelbare Verwendung der Telefondaten für die Strafverfolgung. Weil die sogenannte Vorratsdatenspeicherung ein Einfallstor für eine unverhältnismäßige und – wie sich jetzt zeigt – massenhafte Ausspähung von Telefondaten und ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte unbescholtener Bürger war, riefen Kritiker das Bundesverfassungsgericht an. Am 2. März 2010 entschied der Erste Senat in Karlsruhe, dass diese Regelungen „nicht vereinbar“ mit Artikel 10, Absatz 1 des Grundgesetzes, nämlich dem Brief- sowie Post- und Fernmeldegeheimnis, sind. Zwar seien sie nicht „schlechthin verfassungswidrig“. Es fehle aber an einer „dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Ausgestaltung“.

Seither streitet die Politik genau über diese Ausgestaltung. Im Schatten der Auseinandersetzung agieren die Ermittlungsbehörden in großem Stil offenbar weiter nach bisherigen Vorschriften. Sie berufen sich bei der richterlich angeordneten Abfrage und Auswertung von Telefonverbindungsdaten auf die Strafprozessordnung, die das bei Straftaten von „erheblicher Bedeutung“ ermöglicht. Den Karlsruher Richtern allerdings erschien eine solche Begründung nicht ausreichend präzise. Die Regelungen zur Verwendung der Daten für die Strafverfolgung seien „mit den aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entwickelten Maßstäben unvereinbar“, heißt es im Urteil von 2010. Und: Wenn die Verwendung der Daten heimlich erfolge – was in der Ermittlungspraxis die Regel ist – habe der Gesetzgeber die Pflicht, eine zumindest nachträgliche Benachrichtigung der Betroffenen vorzusehen. Viele Juristen und Datenschützer beklagen, dass sich die Ermittlungsbehörden in einer rechtlichen Grauzone bewegen.

Wer bewacht die Wächter? Ein zentrales Problem ist die kontrollierte Löschung der Daten.

Was passiert mit den Daten?

Tobias Kaehne, Pressesprecher der Berliner Strafgerichte, sagt, es gebe keine richterliche Kontrolle darüber, ob und wie Daten wieder gelöscht würden. Nachdem ein Richter eine Auswertung anordne, liege das weitere Vorgehen in der Hand von Polizei und Staatsanwaltschaft. „Die Polizei darf die Daten so lange wie nötig behalten“, sagt Kai von Lewinski, Experte für Datenschutzrecht an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität. Dabei müsse der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Theoretisch können die Daten aber von den Ermittlern so lange aufbewahrt werden, bis alle Täter gefasst sind – was im Falle der Autobrandstiftungen niemals der Fall sein dürfte.

Der SPD-Rechtspolitiker Sven Kohlmeier fordert, es müsse eine Instanz geben, die die Löschung der Daten kontrolliert. „Der Datenschutzbeauftragte muss ein Auge darauf haben“, fordert er und kann sich auch vorstellen, dafür eine klare gesetzliche Grundlage zu schaffen. Beim Berliner Datenschutzbeauftragten Alexander Dix ist zu hören, dass man zwar bei aktuellen Anlässen tatsächlich Prüfungen vornehme, ob Daten wie vorgeschrieben gelöscht werden. „Ob in jedem Einzelfall datenschutzrechtliche Vorgaben eingehalten werden, wissen wir aber nicht“, sagte Dix’ Sprecher Joachim-Martin Mehlitz.

Wie geht die Staatsanwaltschaft im Einzelfall vor? 

Die Anfrage bei den Unternehmen erfolgt möglichst schnell nach der Tat, da diese die Daten unterschiedlich schnell löschen. In jedem Ermittlungsverfahren muss ein Richter die Abfrage genehmigen, in der Regel wird ein Zeitraum von 30 Minuten vor der Tat bis 30 Minuten nach der Tat gewünscht. Das Verfahren ist so gebräuchlich, dass sich in der Justiz dafür der Begriff „Turmdaten“ eingebürgert hat. Denn die Antennen der vier Mobilfunkunternehmen sind in der Regel auf Türmen installiert. Die übermittelten Daten werden dann unterschiedlich durchforstet: So werden die Verbindungsdaten sämtlicher Taten miteinander verglichen. Wäre ein Telefon mindestens an fünf Tatorten aufgefallen – so die interne Vorgabe der Berliner Ermittlungsbehörden – , „hätten wir uns die Person mal angesehen“. Doch dazu kam es nicht, die Trefferzahl wurde schlicht nicht erreicht. Zudem wurden die übermittelten Daten verglichen mit Telefonnummern bekannter linksextremistischer Straftäter. So soll das Handy eines mutmaßlichen Zündlers auch in einer anderen Stadt an einem Tatort aufgefallen sein, sicher kein Zufall, sagte ein Ermittler. Doch Beweiskraft hatte das nicht, es wurde nicht einmal im Prozess gegen den Tatverdächtigen erwähnt. Die Tatsache, dass ein Mobiltelefon in zeitlicher und räumlicher Nähe zu einer Tat aktiv war, sei lediglich ein weiteres Indiz für die Täterschaft eines Tatverdächtigen, hieß es bei Ermittlern.

Wie kann der Bürger erfahren, ob er betroffen ist?

Jeder Bürger hat ein Recht, zu erfahren, welche Daten über ihn gespeichert werden. Die Formulare, um zum Beispiel bei der Polizei diese Auskunft zu beantragen, findet man unter anderem auf der Website des Berliner Datenschutzbeauftragten unter dieser Adresse: www.datenschutz-berlin.de/content/service/selbstdatenschutz/datenscheckheft.

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