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Politik: Ganz real mit Moral

Von Clemens Wergin

Wenn Israels Staatsgründer David Ben-Gurion in den 50ern seine Annäherung an die Bundesrepublik verteidigte, dann sprach er immer vom „anderen Deutschland“, dem „Deutschland Adenauers und der Sozialdemokraten“. Wie es die Geschichte will, ist es heute eine konservative Kanzlerin, die zusammen mit den Sozialdemokraten eine Zäsur im deutsch-israelischen Verhältnis herbeiführt. Zum ersten Mal in der Nachkriegszeit werden deutsche Soldaten ausgesandt, um Israels Grenze sichern zu helfen. Und es ist schon überraschend, dass die Israelis damit viel weniger Probleme haben als die Deutschen. Einer neuen Umfrage zufolge lehnen hierzulande 64 Prozent den Einsatz ab.

Diese Mission bildet den Schlussstein einer Neudefinition der deutschen Außenpolitik, die vor sieben Jahren mit dem Kosovokrieg begann. Auch wenn die viel beschworene „Normalisierung“ mehr Sehnsuchtsbegriff bleibt als Abbildung deutscher Realitäten (siehe Umfrage), so lässt sich doch feststellen: Die Aufgaben, die die Bundesrepublik inzwischen global übernimmt, nähern sich dem, was man vom größten Staat in Europa und einem der wirtschaftlich und politisch bedeutsamsten Länder der Erde erwarten kann. Dazu gehören immer öfter friedenserhaltende oder friedenserzwingende Einsätze der Bundeswehr.

Dennoch müssen die Skeptiker ernst genommen werden. Tatsächlich sind die Begründungen dieser Einsätze oft ad hoc, manchmal gar im Gewand überstaatlicher Notstände, über uns gekommen. Im Kosovo musste es schon die Verhinderung eines zweiten Auschwitz sein, mit dem Rot-Grün argumentierte, in Afghanistan ist es der Kampf gegen den Terror, im Kongo die Stärkung der EU-Außenpolitik, und bald in Darfur wird abermals ein Genozid zu stoppen sein. Das Durcheinander von Argumenten erweckt den Eindruck, Berlin entscheide über Auslandseinsätze ohne klare Kriterien. Auch bei der Libanon-Mission wird von Befürwortern wie Gegnern hauptsächlich die Schoah angeführt – ein quasi überpolitischer Begründungszusammenhang. Dabei würde eine realpolitische Betrachtung zu keinem anderen Ergebnis führen als eine moralisch-historische.

Berlins Politikern dürfen also bei Auslandseinsätzen durchaus auch mit deutschen Interessen argumentieren. Denn gibt es in Nahost wieder einmal Krieg, steigt nicht nur der Preis des Öls – das Schmiermittel unserer Wirtschaft – als Erstes klopfen die Flüchtlinge auch an die Pforten Europas, dessen Sicherheit als Nachbar ohnehin direkt berührt ist. Dort für Stabilität zu sorgen, hilft nicht nur dem Libanon, ein echter Staat zu werden, und Israel, seine Grenzen sicherer zu machen. Es ist außerdem ein Beitrag zur Eindämmung der destruktiven Kräfte der Region. Die schiere Nähe verbietet es Europa, sich vor dieser Stabilisierungsaufgabe zu drücken.

Im Libanon wird aber auch das alteuropäische Politikmodell getestet. Die USA und Großbritannien sind nicht Teil der Unifil-Mission, weil der Irakkrieg ihrem Image in der arabischen Welt sehr geschadet hat. Nun müssen die Kontinentaleuropäer zeigen, dass ihr Mix aus Politik und militärischem Engagement besser funktioniert als der der Angelsachsen. Das deutsch-israelische Sonderverhältnis gibt dem Ganzen zwar eine geschichtsmetaphysische Note. Die Libanon-Mission wird aber darüber hinaus erweisen, wie erfolgreich deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik sein kann in einer Region, die Europas Sicherheit unmittelbar tangiert.

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