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Politik: Gar nicht blöd

Von Moritz Döbler

Es ist schon ungewöhnlich. Ein Bundespräsident bilanziert die Arbeit einer neuen Bundesregierung. Und die wird auch noch von der Politikerin geführt, die ihn einst unvermutet ins höchste Staatsamt brachte. Aber vielleicht ist jetzt wirklich die Zeit der ideologiefernen Debatte über Deutschlands Zukunft gekommen. Mehr große Koalition ist nicht möglich.

Ums Ganze geht es Horst Köhler und Angela Merkel schon lange. Je kleiner die Schritte, desto mehr seien nötig, sagt er nun. Bei den ersten Gehversuchen der großen Koalition vermisse er den „durchdachten, ausgestalteten Überbau“, der klar mache, „wohin die Reise gehen soll“. Also geht es mal wieder um Globalisierung. Ein paar Ideen wirft der Bundespräsident auch in die Diskussion, zum Beispiel „die Ertragsbeteiligung von Arbeitnehmern oder ihre Beteiligung am Produktivvermögen“.

Neu ist der Gedanke mitnichten. In der christlichen Soziallehre taucht er vor über 150 Jahren auf. Eine Kapitalbeteiligung mache Fabrikarbeitern bewusst, dass sie „nicht lediglich für einen Dritten, sondern auch für sich selbst gut oder schlecht“ arbeiten, schrieb der katholische Sozialreformer Peter Franz Reichensperger damals. An die angestaubten Genossenschaften kann man denken oder eben an Gratifikationen mit Aktien oder Optionen, wie sie in den USA und Großbritannien, aber auch in Deutschland gang und gäbe sind. Erfolgreiche Mitarbeiter werden Miteigentümer.

So plausibel das Modell theoretisch ist, so bockig zeigt sich die Praxis. Manchmal hängen die Maßstäbe schief, wie die Kritik an Managergehältern zeigt. Die Kernfrage bleibt, wer wann wie stark beteiligt wird. Es fehlen häufig nachprüfbare Kriterien, weil sich nur schwer messen lässt, wie stark ein Arbeitnehmer zum Ergebnis seiner Firma beigetragen hat, vor allem in schlechten Zeiten.

Das Modell ist jedenfalls etwas anderes als die Tarifautonomie, in die der neue Wirtschaftsminister mit seiner Forderung nach mehr Kaufkraft für Arbeitnehmer eingreift, ziemlich populistisch. Von mehr Einkommen hat Köhler nämlich nicht gesprochen. Ihm geht es darum, Leistungsanreize und damit mehr Dynamik zu schaffen. Arbeitnehmer sollen wie Unternehmer denken lernen – und letztlich das unternehmerische Risiko mittragen. Denn dass Aktien über Nacht mehr Fluch als Bonus sein können, zeigt der Kurssturz des Premiere-Papiers vergangene Woche. 10 000 Euro waren binnen weniger Stunden nur noch 6000 Euro wert. Und das kurz vor Weihnachten.

Es bleiben Fragen offen, so danach, was eine angemessene Lohnerhöhung in der Metall- und Elektrobranche ist, um die schwierigste Tarifrunde des nächsten Jahres anzusprechen. Oder was aus denen werden soll, deren Leistung niemand nachfragt. Einem 58-jährigen arbeitslosen Bauschlosser aus Schwedt bringt das Beteiligungsmodell wenig.

Köhlers Lösungsvorschlag ist „eine Art Grundeinkommen“ – nur 1900 Euro netto für Familien hält er für zu viel. So sehr man Köhlers Thesen erfrischend finden mag, so sehr geht es aber – leider – um Details wie die Höhe des Grundeinkommens: um die kleinen Schritte eben. Einen starken Ruck, der alles löst, wird es nicht geben. Und es kann nicht sein, dass der Bundespräsident der Regierung den geistigen Überbau verpasst. Vielleicht sollte er nun, da der präsidiale Gerhard Schröder nicht mehr regiert, seinerseits aufs Mitregieren verzichten. „Die Deutschen sind nicht blöd“, meinte Horst Köhler in dem Interview auch. Eben.

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