zum Hauptinhalt
Vertrieben. Diese Gruppe armenischer Flüchtlinge aus dem osmanischen Reich hat sich 1915 nach Syrien gerettet.

©  Library of Congress/dpa

Gauck über Völkermord an Armeniern: Ankara verbittet sich Einmischung der Europäer

Vor der Rede von Bundespräsident Joachim Gauck zum Völkermord an den Armeniern übt die türkische Regierung scharfe Kritik. Auf konkrete Konsequenzen wird Ankara wohl aber verzichten.

Scharfer Protest, Botschafter-Abberufung, Warnung vor einem Schaden für die Beziehungen: Vor der Rede von Bundespräsident Joachim Gauck am Donnerstagabend zum Völkermord an den Armeniern und der erwarteten Annahme einer Bundestagsresolution an diesem Freitag ist mit einer heftigen Antwort aus Ankara zu rechnen. Zu einem großen Teil liegen die Gründe für die Aufregung und die starken Worte im türkischen Wahlkalender. Beobachter erwarten keine ernsthaften politischen Langzeitfolgen – auch bei ähnlichem Streit in der Vergangenheit legte sich die Empörung bald wieder. 

Zuerst der Papst, dann das EU-Parlament und das österreichische Parlament, wahrscheinlich gefolgt von Gauck und vom Bundestag – die Türkei sieht sich vor dem 100. Jahrestag des Beginns der Armenier-Massaker von 1915 an diesem Freitag verstärkt Forderungen nach einer Anerkennung des ersten Völkermords der modernen Geschichte gegenüber. 

Ankara weist dies von sich und greift seinerseits die Politiker in Europa an. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, die Europäer mischten sich in Dinge ein, die sie nichts angingen. Wenige Wochen vor der Parlamentswahl am 7. Juni sieht sich die türkische Regierung gezwungen, beim Thema Armenier nationalistisches Engagement zu zeigen. Schließlich gehe es der Regeirungspartei AKP bei der Wahl vor allem darum, rechtsgerichtete Wähler anzuziehen, heißt es bei westlichen Diplomaten in Ankara. 

Konkrete Konsequenzen werden die türkischen Proteste gegen die jüngsten Genozid-Erklärungen in Europa aber nicht unbedingt haben. Die Partner der Türken bleiben zumindest vorerst gelassen. Etwas anderes als heftige Beschwerden sei von der türkischen Regierung so kurz vor der Wahl kaum zu erwarten gewesen, sagt ein Diplomat. „Vielleicht ist am nächsten Montag schon alles wieder vergessen.“ 

Erfahrungen aus der Vergangenheit legen nahe, dass die Türkei ihren Furor nicht unbedingt in politisches Handeln übersetzen wird. So erholten sich die Beziehungen zu Frankreich nach der Anerkennung des Völkermordes durch Paris zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts relativ rasch wieder. Heute ist Frankreich einer der wichtigsten Handelspartner der Türkei. 

Auch Russlands Präsident Putin spricht von Völkermord

Noch deutlicher wird der Vorrang der Realpolitik im türkischen Verhältnis zu Russland. Auch Moskau spricht von einem Völkermord an den Armeniern, und Präsident Wladimir Putin wiederholte den Begriff in einer Stellungnahme kurz vor dem Jahrestag. Der russische Staatschef reist zudem zur offiziellen Völkermords-Gedenkfeier in die armenische Hauptstadt Eriwan. 

Auch nach Putins Äußerung war die türkische Reaktion bemerkenswert: Es gab nämlich keine. Während die Türkei wütende Demarchen nach Westeuropa schickt, schweigt sie zu den Äußerungen des russischen Präsidenten. 

Der Grund dafür liegt nicht zuletzt in der türkischen Abhängigkeit von russischem Erdgas. Er glaube nicht, dass Putins Reise nach Eriwan dem Verhältnis zur Türkei schaden werde, sagte der russische Präsidentensprecher Dmitry Peskow. Schließlich stünden die russisch-türkischen Beziehungen auf einem soliden Fundament einer „für beide Seiten vorteilhaften Zusammenarbeit“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false