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Politik: „Gebt unseren Kindern eine Zukunft“

Die Bürger rechnen mit den großen Parteien ab

Mehr als hundert Politiker, die von Richtern der Korruption beschuldigt werden, stehen an diesem Sonntag auf den Wahllisten bei den Kommunal- und Regionalwahlen. Regionalfürsten, Bürgermeisterkandidaten, Stadtverordnete. Das ist nicht neu und blieb bisher meist folgenlos. Hochburgen der Schmiergeld- und Amigo-Politik sind besonders die Costa Blanca in der Region Valencia, das südspanische Andalusien und die Kanarischen Inseln. Vor allem die beiden großen Parteien des Landes sind in die Machenschaften verstrickt: die konservative Volkspartei wie die Sozialisten von Spaniens Regierungschef Jose Luis Zapatero. Doch nun hat das spanische Volk offenbar die Nase voll. „Wählt sie nicht“, skandieren seit Tagen zehntausende Menschen im ganzen Land. Dauerdemonstrationen und Protestcamps auf den zentralen Plätzen vieler Städte untermauern den neuen Schlachtruf, der durchs ganze Land tönt.

Die Rebellion der Frustrierten und Unzufriedenen auf der Straße hat sich für Zapatero und seine Sozialisten in einen Albtraum verwandelt. Am Sonntag werden in Spanien Bürgermeister und regionale Ministerpräsidenten gewählt, und wenn die Umfragen nicht lügen, wird Spaniens von der Wirtschaftskrise ausgelaugte Regierungspartei eine der schlimmsten Niederlagen ihrer Geschichte erleben. Dann dürfte auch das Ende der Regierung besiegelt sein.

Nun hat zu allem Unglück auch noch die nationale Wahlkommission Öl ins Feuer gegossen und am Wochenende alle Protestaktionen untersagt. Am Vortag einer Wahl und am Wahltag selbst verbiete das Gesetz „jeglichen Propaganda- oder Wahlakt“, lautet die Begründung. Spaniens Protestbewegung, die sich den Mund nicht verbieten lassen will, sieht dieses Verbot als Kriegserklärung – und als Bestätigung dafür, dass Spanien Reformen und „eine wirkliche Demokratie“ benötige.

„Wenn die Polizei kommt, werden wir passiven Widerstand leisten“, verkündet ein Sprecher der Protestbewegung im Herzen der Hauptstadt Madrid auf dem zentralen Platz „Puerta del Sol“. Von dieser berühmten „Plaza“, deren Name mit „Tor der Sonne“ übersetzt wird, sprang der Funke des Widerstands „gegen korrupte Politiker, hohe Arbeitslosigkeit und soziale Ungerechtigkeit“ aufs ganze Land über. Hunderte schlafen in Zelten in ihren „Revolutionscamps“.

Längst ist es nicht nur die junge Generation, die auf den Straßen die Fäuste in die Luft reckt, die anfangs vor allem gegen 45 Prozent Jugendarbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven rebellierte. Inzwischen haben sich viele Ältere der Bewegung „15-M“ angeschlossen, die nach dem ersten Protesttag am 15. Mai benannt wurde. Eltern stehen ihrem Nachwuchs zur Seite. „Wir wollen Arbeit“, rufen die Jungen. „Gebt unseren Kindern eine Zukunft“, steht auf einem Plakat, das ein älteres Paar herumträgt.

Es scheint, dass die Opfer der spanischen Wirtschaftskrise, die hunderttausende Familien in die Zahlungsunfähigkeit getrieben hat, nicht länger schweigen wollen. Spaniens explodierter Immobilienmarkt, der alle Branchen in den Abgrund zog, ließ das Land erbeben: Rund 21 Prozent Arbeitslosigkeit waren die Folge, insgesamt stehen fünf Millionen Menschen ohne Job da. Die Staatskasse ist leer, das Land überschuldet. Und Millionen Bürger wissen kaum noch, wie sie über die Runden kommen sollen.

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