zum Hauptinhalt

Politik: Gegen den Krieg – und gegen Juden

Bei Friedensdemonstrationen in Frankreich gibt es immer häufiger antisemitische Vorfälle. Oft sind arabischstämmige Jugendliche die Täter

Von Sabine Heimgärtner, Paris

und Christian Böhme

Antikriegsdemonstrationen – die Verantwortlichen vieler Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen, Friedensgruppen und Schulverbände haben derzeit in Frankreich die große Sorge, dass sich die neuerdings fast täglichen Demonstrationen gegen den Irak-Krieg mehr und mehr zu antisemitischen Protesten ausweiten könnten. Am Wochenende gab es zum Ende eines Friedensmarsches Zehntausender Kriegsgegner Übergriffe gegen Mitglieder der jüdischen Organisation Hashomer Hatzair. Während des Protestzuges verhinderten die Ordnungskräfte gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen. Häufig gehen die Attacken von arabischstämmigen Franzosen aus, die in zweiter Generation in Frankreich leben. Neuerdings seien die Verursacher der Zusammenstöße, so stellten die Behörden fest, aber auch einheimische junge Franzosen, „die sich in einen völlig unkritischen Antiamerikanismus" stürzten. „Da wird alles vermischt: Judentum mit der Macht der USA, Bush mit Scharon und der Irak mit Fundamentalismus und Terrorismus", erklärte der designierte Präsident des französischen muslimischen Rates, Dalil Boubakeur. „Ich bin äußerst beunruhigt", sagte Boubakeur, „weil dieser zu verabscheuende Krieg zu einem neuen Gesicht des brutalen Islamismus und zu einem drastischen Anstieg fundamentalistisch begründeter Gewalttaten in Frankreich führen könnte." Von 313 rassistisch begründeten Gewalttaten im Jahr 2002 müssten über 60 Prozent als antisemitisch eingestuft werden, resümiert auch der Bericht der französischen Kommission für Menschenrechte, sechs Mal so viele wie 2001, der höchste Stand seit zehn Jahren. Hintergrund für die Übergriffe ist nach Einschätzung der Kommission die weltpolitische Lage, vor allem der Nahost-Konflikt, nach dem 11. September 2001 die Polarisierung zwischen Westen und Islam, aktuell der Irak-Krieg.

„Sehr beunruhigt“ über die Entwicklung in Frankreich ist der Präsident des European Jewish Congress, Michel Friedman. Vor wenigen Tagen erst habe er mit Ministerpräsident Raffarin über die Zunahme antisemitischer Angriffe gesprochen, sagte er dem Tagesspiegel. Dass gerade in Frankreich Judenfeindschaft so zugenommen habe, führt Friedman auf die große Zahl arabischstämmiger und muslimischer Bürger zurück. In extremen Situationen wie dem Irak-Krieg kämen deren Vorbehalte gegen Juden zum Vorschein. „Hier wird der Nahostkonflikt religiös instrumentalisiert.“ Friedman lobte aber auch Frankreichs Regierung. „Sie hat 1200 Polizisten extra für den Schutz jüdischer Einrichtungen abgestellt.“ Dass dies noch nicht reicht, zeigt die Untersuchung.

Sabine Heimgärtner[Paris], Christian B&#246

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false