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Politik: Gegen den Wind

Von Stephan-Andreas Casdorff

Sie kann es nicht. Der Streit über die Gesundheitsprämie, vulgo: Kopfpauschale, mit der CSU kommt zu keinem guten Ende. Die Parteiverbände der CDU in drei Ländern kämpfen mit sich und mit ihren Vorleuten, mit Christoph Böhr, Peter Harry Carstensen, Erwin Teufel. Von den Berliner Christdemokraten gar nicht erst zu reden. Die Unterschriftenaktion gegen eine Aufnahme der Türkei führt zu Protesten in den eigenen Reihen. Hinzu kommen verstörende, öffentlich diskutierte Überlegungen, ob der Spitzensteuersatz vielleicht doch nicht ganz so weit gesenkt werden soll, wie es die Union bisher will. Und dann die Lage in der Fraktion. Friedrich Merz geht, aber wer kann ihn ersetzen? Ja, da steht sie nun, die Erbin Kohls, und es wird einsam um sie an der Spitze. Kohl hat für solche Situationen ein schönes Bild, das vom Wetterhahn auf dem Kirchturm: Alle sehen ihn, schauen auf ihn, und jeder Wind weht ihn an.

Sie kann es nicht? Die öffentliche Wahrnehmung ist doch sehr eingeschränkt. Noch immer liegt die Union in Umfragen weit vor der SPD. Und noch immer kann in NRW die CDU demnächst regieren. Hinzu kommt Merkels Wirkung nach innen. Die Regionalkonferenzen, die gegenwärtig stattfinden, sind ihr Mittel, die Parteiwirklichkeit wahrzunehmen und umgekehrt von der CDU wahrgenommen zu werden. Da zeigt sich neben allem Unmut, dass die Partei ihr nicht lange gram ist, wenn die Vorsitzende sich ihr stellt. Der Wind dreht sich in den Versammlungen, wenn Merkel sagt, was sie will. Wie bei Kohl. Ihr Vorgänger Wolfgang Schäuble hat daran nichts ändern können. Die Christdemokratische Partei ist nahezu unverändert patriarchalischen Strukturen verhaftet. Wer dem Bedürfnis nach Richtungsweisung nachkommt, der wird umjubelt – und sei er eine Frau.

Gut zu sehen ist das an der Reaktion von Roland Koch, dem hessischen Ministerpräsidenten und auf seine Weise idealtypischen führenden Christdemokraten. Als er in der Regionalkonferenz merkt, dass Merkel keine Lücke lässt, dass sie nicht zögert, sich für ihr umstrittenes Konzept einer Gesundheitsprämie stark zu machen, sei es auch gegen die CSU, akzeptiert er diese Stärke – und unterstützt sie feurig. Ein wenig erinnert das, wenn auch mit ganz anderem politischen Zungenschlag, an die Zeiten, als Heiner Geißler Generalsekretär war. Er wollte der CDU durch Kontroversen Kraft geben. Und generierte daraus Stärke.

Was damals gilt, gilt fort. Es ist auch eine Sache der Nerven, sich in der Union durchzusetzen. Merkel hat hier ihre Chance, eben weil sie mehr von Kohl hat als die Männer um sie herum; weil sie mehr von ihm gelernt hat; weil sie ihn nicht nur überlebt hat. Und die CSU weiß es. Landesgruppenchef Michael Glos, Stellvertreter in der Berliner Unionsfraktion, hat ihr einmal eine Flasche Jägermeister geschenkt, und darin liegt eine tiefe Wahrheit. Es war Merkel, die Kohl verbannte und zurückholte, es war auch Merkel, die Schäuble ablöste und dort einsetzte, wo er ihr am meisten Nutzen bot, als Vizefraktionschef für Außenpolitik. Sie weiß, was sie will, und wo sie es will, das wird niemand bestreiten. Oder ist schon vergessen, nach wessen Kalkül das Amt des Bundespräsidenten besetzt worden ist?

Und Angela Merkel kann warten. Bis an die Grenze der Brutalität. Warten aber kann Edmund Stoiber, der CSU-Chef, nicht. Gegenwärtig wartet Merkel, bis Stoiber einsieht, dass ein Streit bis hin zum Zerwürfnis der Union mehr schadet, als es der CSU nutzt. Sie hat auch schon gewartet, in der Frage, ob es eine Unterschriftenaktion zum EU-Beitritt der Türken geben soll oder nicht. So lange, bis es weh tat. Und das wird ihr nutzen. Denn von wem stammt der Vorschlag? Von der CSU, von Glos, von Stoiber. Wer hat dagegen aufbegehrt? Die CDU. Und auf wen hört Merkel? Was sie jetzt sagt, sagt sie im Namen der CDU. Die ist mit ihr einig, und sie mit ihr. Darauf kommt es an. Im Dezember, auf dem Bundesparteitag, wird sie mit gutem Ergebnis wiedergewählt werden. Auch weil sie viel aushalten kann. So viel, wie man ganz oben an der Spitze aushalten können muss.

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