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Politik: Geliebter grüner Feind

In München herrscht Angst, eine veränderte Parteienlandschaft könnte zum Niedergang der CSU führen

Von Robert Birnbaum

Berlin - In der CSU geht die Sorge um, und die Sorge hat eine Formel: 50 minus x. Hat das Wahlergebnis vom Sonntag in der CDU einen Schock ausgelöst, stellt sich der Bayern-Partei zusätzlich eine Frage, die seit jeher als existenziell gilt: Wie ernst müssen wir es nehmen, dass wir zum zweiten Mal in der jüngeren Parteiengeschichte bei einer Bundestagswahl unter die magische 50-Prozent-Marke gesackt sind? Daraus leitet sich eine zweite, noch viel aktuellere Frage ab: Was würde es für die Volkspartei CSU bedeuten, wenn sie sich in Berlin mit den Grünen auf ein Regierungsbündnis einließe?

Das Unbehagen über diese Aussicht hat sich am Mittwoch in einer gut fünfstündigen Sitzung der Landtagsfraktion in München Luft verschafft. Teilnehmer geben den Eindruck wieder, dass ein großer Teil der Landtagsabgeordneten ein Bündnis mit den Grünen ablehnt. Vor einem schweren strategischen Fehler sei sinngemäß gewarnt worden. Denn, so die Argumentation der Kritiker: Wer in Berlin mit den Grünen zusammenarbeite, könne sie in Altötting oder Oberviechtach nicht mehr gut als spinnerte Windrad-Anbeter verdammen. „Es gibt aber bei unseren Anhängern etliche, die wir mit dieser Frontstellung an uns binden“, sagt ein Christsozialer. Dahinter steckt in letzter Konsequenz die Angst, eine sich verändernde Parteienlandschaft könnte auch das Ende der Volkspartei CSU einleiten. Von einem vielleicht „historischen Moment“ war die Rede.

Entsprechend vorsichtig hat sich Parteichef Edmund Stoiber in der Sitzung verhalten. Einerseits, wird er zitiert, sei eine Jamaika-Koalition „mit der CSU nicht zu machen“. Andererseits müsse man schon ausloten und sondieren, ob nicht doch eine gewisse gemeinsame Basis zu finden sei. Alles komme darauf an, wie die andere Seite sich zu bewegen bereit sei. Stoiber, heißt es in CSU-Kreisen, stehe nach dem schlechten Abschneiden daheim „natürlich unter Feuer“.

Im Redemarathon in München ist auch Kritik an der Wahlkampfführung der Union laut geworden. Dass viele Christsoziale der Kanzlerkandidatin eine Mitverantwortung am enttäuschenden Abschneiden gäben, sei unüberhörbar gewesen. Freilich versichern Teilnehmer, der Name Angela Merkel sei nicht gefallen. Schon gar nicht erklären können sich Ohrenzeugen der Münchner Fraktionssitzung wie der Sitzung der CSU-Landesgruppe in Berlin am Dienstag einen Bericht der „Süddeutschen Zeitung“, dass Stoiber selbst sich zu einer indirekten Schuldzuweisung an Merkel habe hinreißen lassen. Der CSU-Chef, heißt es da, habe über „kühle und herzlose Sprache“ in der Präambel des gemeinsamen Wahlprogramms geklagt und auch die Wahlstrategie mit den Worten „Die wollte das so“ auf Merkels Schultern abgeladen.

Wo diese Worte gefallen sein sollen, lässt der Bericht freilich zwischen Berlin und München in der Schwebe. Nachfragen bei Teilnehmern beider Sitzungen ergeben Achselzucken: Gehört hat sie keiner. Als kritischster, zugleich selbstkritischer Satz Stoibers in Berlin wird überliefert: „Der neue Stil der Sachlichkeit ist auch von uns übernommen worden.“ Zumindest vorerst, vermuten Christsoziale, wird es auch bei solchen leisen Andeutungen bleiben. Wie lange der Druck im Kessel bleibt, wagt keiner zu sagen. Einstweilen hilft noch Gerhard Schröder kräftig mit beim Abdichten: Dessen Anspruch aufs Weiterregieren bezeichnet Joachim Herrmann, Chef der CSU-Landtagsfraktion, als „Größenwahn“. Es war unter allen Worten, die in München zu diesem Thema fielen, eins der harmloseren.

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