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Politik: Gemeinsame Sache

Die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten in Sachsen steigt – die NPD lässt sich von den Schlägern helfen

Von Frank Jansen

Dresden/Berlin - Der Überfall war kein Zufall. Als ein paar junge Leute im Juni abends im sächsischen Pirna aus der S-Bahn stiegen, wurden sie bereits erwartet. Die Angreifer fackelten nicht lange, sie schlugen los. Nach bisherigen Ermittlungen hatten sie sich zuvor gezielt verabredet, um gegen Linke vorzugehen. Die Opfer hatten vor dem Überfall nichts anderes getan, als ein alternatives Stadtteilfest im nahen Dresden zu besuchen.

Die schmucke Elbestadt Pirna mit ihren restaurierten Bürgerhäusern rund um den Markt liegt in der Sächsischen Schweiz, einem bei Wanderern und Kletterern beliebten Naturschutzgebiet. Der Landkreis war in der Vergangenheit wiederholt wegen brutaler Überfälle von Neonazis auf Andersdenkende und Ausländer in die Schlagzeilen geraten und gilt in Ostdeutschland als Neonazi-Hochburg. Nach dem Verbot der berüchtigten Neonazi-Truppe Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) und Prozessen gegen deren maßgebliche Führungsfiguren wurde es kurzzeitig etwas ruhiger. Doch nun beobachten Opferorganisationen und Ermittler mit großer Sorge eine neue Welle der braunen Gewalt.

Es gebe deutliche Hinweise auf zunehmend organisierte Gewalttaten, sagt der für Staatsschutz zuständige Dresdner Oberstaatsanwalt Jürgen Schär. Bei den Organisationen gegen rechte Umtriebe heißt es, fast täglich meldeten sich Personen, die von Neonazis angepöbelt, bedroht oder misshandelt würden. Eine Dresdner Opferberatungsstelle registrierte bis Ende Juli 32 Überfälle mit rechtem Hintergrund. 2004 wurden insgesamt 24 Angriffe gezählt. Bei der Attacke in Pirna sollen elf Jugendliche verletzt worden sein. Die Polizei sagt, von Januar bis Mitte August seien im Landkreis Sächsische Schweiz 17 rechte Gewalttaten registriert worden. Das seien vier mehr als im gleichen Zeitraum 2004. Die Zahl aller rechten Delikte lag bei 113. Von Januar bis Mitte August 2004 hatte die Polizei insgesamt 96 festgestellt.

Der örtlichen Polizei war zuletzt vorgeworfen worden, nicht entschlossen genug vorzugehen und teilweise auf dem rechten Auge blind zu sein. Die Vorwürfe gegen einzelne Polizisten werden nun geprüft. Die Behörden kündigten zudem an, sich besser abzustimmen und die Präventionsarbeit zu verbessern. Das ist bitter nötig. Denn die rechtsextreme NPD ist in der Region bereits in vielen Gemeinden fest verwurzelt, zuletzt machte dort bei Wahlen jeder Fünfte sein Kreuz bei der Rechtsaußenpartei. Einheimische Funktionäre wie der Fahrschullehrer und Landtagsabgeordnete Uwe Leichsenring versichern, dass sie gegen Gewalt seien. Doch tatsächlich macht die NPD nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes mit den braunen Schlägern gemeinsame Sache. Die NPD lässt sich demnach von den gewaltbereiten Kameradschaften beim Wahlkampf helfen und ist bei der Aufnahme ihres Personals keineswegs wählerisch.

Erst am Wochenende räumte NPD-Bundesvize Holger Apfel bei einer Wahlkampfveranstaltung nahe Riesa ein, „natürlich“ auch wegen Volksverhetzung und Körperverletzung Vorbestrafte aufzunehmen. Dies würde der Resozialisierung dienen, fügte er grinsend hinzu.

Die NPD versucht mit solch forschen Sprüchen von ihrem Spagat abzulenken. Auf der einen Seite gibt sie sich harmlos und friedliebend, um viele Stimmen zu holen. Auf der anderen Seite biedert sie sich bei den militanten Ultrarechten an, bei Truppen wie der „Copitzfront“ oder der Organisation „Freie Kräfte Sachsen“. Zumindest Letzteres scheint immer weniger zu funktionieren. Für Kenner der Szene ist die neue Welle der Gewalt im Osten so ein Indiz für die Schwächung der NPD, auf die man ganz rechts kaum noch hört. Denn die NPD wird in der Szene mittlerweile immer mehr als „Systempartei“ empfunden, die viel zu lasch vorgeht und deren Führungsschicht es sich im Dresdner Landtag gut gehen lässt.

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