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Politik: Genosse Disziplin

Die SPD hat vom Selbstmitleid genug – und will sich auf den Grundwert der Solidarität besinnen

Von Hans Monath

Berlin - Irgendwann haben offenbar selbst Sozialdemokraten die Nase voll von gegenseitigen Schuldzuweisungen und widersprüchlichen Botschaften zur Reformpolitik der eigenen Bundesregierung. Nach einer Woche der Selbstanklage und der „Autoaggression“, wie Fraktionsvize Ludwig Stiegler es nannte, haben zumindest zwei große Führungsgremien der SPD am Montag Einigkeit und den Willen demonstriert, sich lieber mit dem politischen Gegner als mit dem eigenen Versagen zu beschäftigen. Acht Tage nach dem Wahldesaster vom 13. Juni konnte Parteichef Franz Müntefering nach Sitzungen von Bundesvorstand (mehr als 40 Mitglieder) und Parteirat (rund 100 Mitglieder) erklären: „Es gab keine Wortmeldung, die gefordert hätte, Agenda 2010 weg.“

Müntefering wollte vor allem die Landesverbände wieder einbinden, in denen noch in diesem oder im kommenden Jahr gewählt wird, die deshalb besonders nervös sind und auch harte Worte gegen Entscheidungen der Regierung Schröder finden. So appellierte der Parteichef in der Sitzung nicht nur an den sozialdemokratischen Grundwert Solidarität und die Einigkeit („Disziplin ist eine Tugend der Demokratie“), sondern versprach auch eine „offene, öffentliche Debatte“, in der die Genossen zwar miteinander streiten, aber nicht übereinander herziehen sollten. Der SPD-Chef griff auch eine Anregung des Netzwerks junger Sozialdemokraten auf und kündigte eine erweiterte Klausur des Parteivorstands Ende August an, bei der die Sozialdemokraten Themen wie kommunale Investitionen und Erbschaftssteuer debattieren wollen. Damit soll die Abstimmung sozialdemokratischer Politik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene verbessert werden.

Lob gab es dafür sogar von solchen Landespolitikern, die in jüngster Zeit die Parteispitze oft hart kritisiert hatten. Es sei klug gewesen, die Emotionen eine Woche abklingen zu lassen, sagte der niedersächsische Fraktionschef Sigmar Gabriel: „Der Ernst der Situation ist jedem klar.“ Er habe im Vorstand eine große Einigkeit ausgemacht,„dass wir nicht in Kassandra-Rufe einstimmen, sondern weiter regieren wollen und Wahlen gewinnen wollen“, sagte Gabriel. Zum Reformkurs gebe es keine Alternative.

Auch andere Teilnehmer beschrieben den Verlauf der Vorstandssitzung und die Stimmung als konstruktiv und wenig konfrontativ. „Es gab kein Gezerre“, sagte der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, der dem Gremium angehört. Scheer macht auch deutlich, dass keine Forderungen nach einem radikalen Umsteuern der Bundesregierung laut geworden seien: „Es geht nicht um Richtungswechsel, es geht um Kurserweiterung.“ Noch vor der Sitzung hatte DGB-Vize und Vorstandsmitglied Ursula Engelen-Kefer gefordert, die Kürzung der Arbeitslosenhilfe zurückzunehmen, und vorausgesagt, es werde „heftige Auseinandersetzungen“ um den Kurs der Partei geben. Doch wurde über ihren Einwand dann nicht weiter debattiert. Ein Regierungssprecher kündigte indes an, Bundeskanzler Gerhard Schröder werde auf das Gesprächsangebot des DGB eingehen, wies aber gleichzeitig die Kritik an den Regelungen für Arbeitslose zurück.

Teilnehmer wiesen allerdings darauf hin, dass noch nicht deutlich geworden sei, wie die Vorschläge des Parteivorsitzenden von der Bundesregierung konkret umgesetzt und finanziert werden sollten: „Es ist noch nicht klar, was dahinter steckt.“ Ein Mitglied des Gremiums deutete auch Zweifel an der Wirksamkeit der Strategie an: „Ich bin mir noch nicht sicher, ob wir damit wirklich an die Ursache der Vertrauenskrise herangehen.“

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