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Politik: Genug gepöbelt

Konservativ, ahnungslos: Viele Europäer rümpfen die Nase über Mitt Romney. Doch beim amerikanischen Wähler verfängt Hohn und Spott nicht sonderlich.

Washington - Mitt Romney ist erforscht. Er stammt aus vermögenden Verhältnissen, wurde gepampert, verdiente als Hedgefonds-Manager seine Millionen damit, andere Menschen in den Ruin zu treiben; er ist ein skrupelloser, wendehalsiger Populist, latent frauenfeindlich, streng religiös, sozialdarwinistisch, eine Marionette in der Hand des Großkapitals, konservativ, in Fragen von Geografie und Außenpolitik komplett ahnungslos.

So oder ähnlich denken viele Europäer. Das Bild mag überzeichnet sein, aber in seinen wesentlichen Zügen entspricht es dem Klischee. Folglich müsste der Republikaner bereits demaskiert am Boden liegen, die Waffen strecken und einpacken. Das erste TV-Duell gegen Präsident Barack Obama mag er noch gewonnen haben. Aber dann wurden er und sein Vize Paul Ryan in den drei folgenden Debatten restlos entzaubert und rhetorisch an die Wand gedrückt.

Wir erinnern uns: Da war der lächerliche Angriff Romneys auf Bibo aus der Sesamstraße, der „Ordner voller Frauen“, ein Iran, der an Syrien grenzt, die Sache mit den Pferden und Bajonetten. Kein Fettnapf, in den Romney nicht mit beiden Händen lustvoll greift. Keine Steilvorlage, die Obama gegen ihn nicht mühelos verwandelt. Ginge es gerecht und vernünftig zu auf dieser Welt, müssten Amerikas Konservative aus Scham vor sich selbst die Wahl vorzeitig verloren geben.

Die Realität sieht ein wenig anders aus. Im Durchschnitt der nationalen Umfragen führt Romney derzeit knapp vor Obama. In den letzten fünf Umfragen liegt der Herausforderer mit 4 (Rasmussen), 1 (ABC/Washington Post), 3 (Gallup) und 3 (Monmouth) Punkten vorn, lediglich bei IBD/Tipp führt Obama mit 3 Punkten Abstand. Der Trend hat sich längst auf einige der entscheidenden Swingstates übertragen. Zumindest ist das Rennen offen, ein Sieg Romneys am 6. November ist ebenso möglich wie ein Sieg Obamas. Woran liegt das?

Wer sich an Klischees klammert, kommt kaum umhin, eine Hälfte Amerikas für verrückt, fanatisch, unbelehrbar, rassistisch, ideologisch, verführbar und/oder dumm zu erklären. Rationale Motive scheiden jedenfalls aus. Vielleicht stimmt aber auch das Narrativ nicht. Versuchen wir eine Erklärung.

Erstens: Obamas innenpolitische Bilanz nach vier Jahren ist dürftig. Rekordverschuldung, hohe Arbeitslosigkeit, geringes Wachstum, sinkende Haushaltseinkommen. Viele der Probleme hat er von George W. Bush geerbt, aber das entlastet ihn offenbar nicht vollständig. Der Versuch der Demokraten, durch eine massive Negativkampagne gegen Romney von dieser Bilanz abzulenken, ging nicht auf.

Zweitens: Im Fall „Bengasi“ (Erstürmung des amerikanischen Konsulats und Ermordung des US-Botschafters am 11. September) hat sich für die Regierung im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik eine verwundbare Flanke geöffnet, in die die Opposition täglich neu ihre Spieße stößt. Wer wusste wann was? Etliche Widersprüche tun sich auf. Obama sagte in der zweiten TV-Debatte, bereits am 12. September habe er von einem „Terrorakt“ gesprochen. Das tat er zwar, aber entgegen seiner Implikation nicht explizit in Bezug auf Bengasi. Der Sprecher des Weißen Hauses und UN-Botschafterin Susan Rice hielten ohnehin bis zum 28. September an der Version fest, Ursache der Gewalt sei das Youtube-Video „The Innocence of Muslims“. Am Dienstag berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, das Weiße Haus sei vom Außenministerium bereits am Abend des 11. September über den terroristischen Hintergrund informiert worden. Demnach heißt es in einer E-Mail, die um 18 Uhr 07 Ortszeit versandt wurde, „Update 2: Ansar al-Sharia Claims Responsibility for Benghazi Attack“.

Drittens: Amerikaner achten auf Takt, Höflichkeit und Zivilität. Pöbeleien ihrer Repräsentanten mögen sie nicht. Außerdem haben sie, jenseits von Spott und Hohn, ein gutes Gespür für Relevanz. Deshalb war die Bibo-Kampagne Obamas im Anschluss an Romneys Bemerkung nicht nur ein Flop, sondern ging nach hinten los. Viele fragten sich: Hat diese Administration kein wichtigeres Thema?

Dann ist da die Sache mit den „Pferden und Bajonetten“, durch die Obama in der letzten TV-Debatte versucht hatte, Romneys Eignung als Oberkommandierender in Zweifel zu ziehen. Am Mittwoch schrieb „Washington Post“-Kolumnistin Kathleen Parker, Obama habe Romney in diesem Moment wie ein Kind behandelt. Mit anderen Worten: überheblich und belehrend. Das mag den eigenen Anhängern vergnügtes Schenkelklopfen bereitet haben, stieß aber jene noch unentschiedenen Wähler ab, die beim Präsidenten auch auf die Etikette achten.

Diese Analyse ist keine Wahlempfehlung für Romney. Sie ist ein Versuch, dessen aktuelle Umfragewerte anders zu erklären als durch Begriffe wie Irrationalität, Rassismus oder Bestechung. Wer Politik an sich nicht für unheilbar korrupt und manipulierbar hält, sollte sich um solche Erklärungen bemühen. Malte Lehming

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