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Geplante Gesetzesänderung: Freifahrtschein für Atommüll

Ein Gesetzentwurf des Umweltministeriums zur möglichen Endlagerung von Atommüll im Ausland löst Protest aus. Was verbirgt sich hinter dem neuen Gesetz?

Zwei Dinge wollte Bundesumweltminister Peter Altmaier am Freitag klarstellen. Erstens: Die Atomenergie hat in Deutschland keine Zukunft. Er sehe „unter keiner denkbaren politischen Konstellation die Chance auf eine Renaissance der Kernkraft in Deutschland“, sagte der CDU-Politiker. Und erteilte damit jüngsten Gedankenspielen unter anderem von EU-Kommissar Günther Oettinger eine Absage, der einen Wiedereinstieg in die Atomkraftnutzung in der Bundesrepublik zumindest nicht ausschließt. Zweite Ansage: Das Endlager für die hochradioaktiven Abfälle soll in Deutschland gebaut werden. Infrage gestellt wird dieses Bekenntnis durch den jetzt bekannt gewordenen Entwurf für eine Novellierung des Atomgesetzes. Demnach will die Bundesregierung die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle im Ausland zumindest ermöglichen. Die Novelle stammt aus jener Abteilung des Bundesumweltministeriums, die der umstrittene ehemalige Atomlobbyist Gerald Hennenhöfer leitet.

Was genau steht in der Gesetzesnovelle?

Der 39-seitige Entwurf eines 14. Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes schafft erstmals Grundlagen für den Export hochradioaktiven Atommülls aus Deutschland. Von Interesse ist insbesondere der Vorschlag für einen neu aufzunehmenden Paragrafen 3a, der die „Verbringung radioaktiver Abfälle oder abgebrannter Brennelemente zum Zweck der Endlagerung“ regeln soll. Eine solche „Verbringung“ – sprich: Export – in einen anderen EU-Staat wäre demnach zulässig, wenn dieser vertraglich zusichert, dass dort ein Endlager in Betrieb ist. In ein „Drittland“, also einen Staat außerhalb der EU, dürfte Atommüll nur geliefert werden, wenn es zuvor sowohl mit der Bundesrepublik als auch mit der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) Nutzungsverträge abgeschlossen hat. Auch muss das Drittland dem Entwurf zufolge sowohl über ein eigenes Endlager wie auch über ein Programm für die Entsorgung und Endlagerung radioaktiver Abfälle verfügen, „dessen Ziele ein hohes Sicherheitsniveau bedeuten“. Das Programm müsse zugleich den Zielsetzungen einer vor anderthalb Jahren von der EU beschlossenen Richtlinie für eine „verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle“ entsprechen.

Was besagen diese EU-Vorgaben?

Der EU-Ministerrat beschloss im Juli 2011 verbindliche Vorgaben für die Entsorgung radioaktiver Abfälle und insbesondere den Bau von Endlagern für die abgebrannten Brennelemente aus Atomkraftwerken. Die Richtlinie trat im September 2011 in Kraft. Im Kern gibt sie den Mitgliedsstaaten auf, nationale Programme mit konkreten Zeitplänen für die Benennung von Standorten und die Errichtung von Lagerstätten aufzulegen.

Die Programme sollen Umsetzungsmaßnahmen beschreiben und die Finanzierung festlegen. Die Länder müssen der EU-Kommission ihre Programme bis spätestens 2015 übermitteln. Die Kommission will diese dann prüfen. Erklärtermaßen wollte die Kommission damit auch Deutschland zum Handeln zwingen. Wie einen „Wanderpokal“ reichten die Bundesregierungen das Problem Endlager immer weiter, kritisierte damals EU-Energiekommissar Günther Oettinger. „Aber niemand kommt einer Lösung näher.“

Unter bestimmten Voraussetzungen – so muss das Drittland bereits über ein Endlager verfügen – sind auch Atommüllexporte nach außerhalb der EU gestattet. Der Entwurf hatte zunächst ein generelles Exportverbot für radioaktiven Abfall und abgebrannte Brennelemente aus Atomkraftwerken in Drittstaaten außerhalb der EU vorgesehen. Dafür fand sich keine Mehrheit im EU-Rat, so dass Ausfuhren dorthin prinzipiell als eine Möglichkeit zur Entsorgung in die Richtlinie aufgenommen wurden.

Wie begründet das Bundesumweltministerium seinen Gesetzentwurf?

Das Ministerium erklärte am Freitag, Deutschland sei durch die EU-Richtlinie „verpflichtet“, den umstrittenen Passus neu in das Atomgesetz aufzunehmen. Die Richtlinie beziehe sich aber vor allem auf Länder, in denen die geografischen Voraussetzungen für eine inländische Endlagerung fehlten. Das sei „in Deutschland so nicht der Fall“. Trotz des neuen Paragrafen gelte in Deutschland weiterhin der Paragraf 9a des Atomgesetzes, der den Vorrang für die Inlandslagerung festschreibe.

Was sagen die Kritiker?

„Die Bundesregierung rüttelt, ohne dies öffentlich zu thematisieren, an dem bei allen Auseinandersetzungen um die Atomenergie in Deutschland immer wieder bestätigten Konsens, wonach der hochradioaktive Atommüll, der in deutschen Atomkraftwerken entsteht, auch in Deutschland zu entsorgen sei“, sagt der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Michael Spielmann. Er erinnert daran, dass zuletzt im Rahmen der Bund- Länder-Gespräche über ein Endlagersuchgesetz Ende 2011 in einem im Konsens verabschiedeten Grundsatzpapier die Endlagerung im Inland explizit festgehalten wurde.

Die Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms sagte, es sei „ungeheuerlich, dass die Bundesregierung unter dem Deckmäntelchen des Zwangs aus Brüssel die Erlaubnis des Exports von Atommüll in Drittstaaten gesetzlich festschreiben will“. Es handle sich keineswegs um eine „1:1-Umsetzung“ der EU-Richtlinie Denn diese sehe ganz klar den Vorrang der Inlandsendlagerung von Atommüll vor. In der Gesetzesnovelle sei davon aber keine Rede. „Hier will sich die Bundesregierung eine Hintertür für die Lösung des ewigen Atommüllproblems schaffen.“

Wurde in der Vergangenheit Atommüll aus Deutschland in andere Länder geliefert?

Ja, aber nicht zum Zweck der Endlagerung. Über Jahrzehnte exportierten deutsche Energiekonzerne die verbrauchten Brennstäbe aus den Akw in die Wiederaufarbeitungsfabriken La Hague (Frankreich) und Sellafield (Großbritannien). Dort wurde in komplizierten chemischen Prozessen noch nutzbares Uran und Plutonium aus den Brennelementen herausgetrennt. Der hochradioaktive Restmüll wurde – in Glaskokillen eingeschmolzen – in Castorbehältern zurück nach Deutschland gebracht. 2005 stoppte die rot-grüne Bundesregierung die Transporte zu den Wiederaufarbeitungsanlagen.

Auch aus der Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau, die seit 1985 in Betrieb ist, wird Atommüll ins Ausland exportiert. So wurden rund 30 000 Tonnen abgereichertes Uranhexafluorid mit Zügen und Schiffen an die russische Firma Tenex geliefert. Dort wird es erneut angereichert, 80 bis 90 Prozent der ursprünglich gelieferten Menge bleiben in Russland. Es lagern also rund 25 000 Tonnen Atommüll aus Deutschland bei Tenex – nach Angaben russischer Umweltschützer größtenteils in korrodierenden Fässern und Behältern unter freiem Himmel.

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