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Der Mahner: Grünen-Chef Cem Özdemir wirbt beim Gerechtigkeitskongress seiner Partei dafür, den Menschen wieder ein soziales Aufstiegsversprechen zu geben.

© dpa

Gerechtigkeitskongress der Grünen: Wahlkampf um Steuern? Nein, danke

Die Grünen wollen einen alten Fehler nicht wiederholen: Das auch in der Partei umstrittene Steuerthema soll diesmal im Wahlkampf vermieden werden.

Eine mahnende Botschaft an seine Parteifreunde will Cem Özdemir dann doch noch loswerden: „Wir wollen keinen Wahlkampf um Steuern führen“, sagt der Grünen-Vorsitzende. Zwei Tage lang debattiert seine Partei auf einem Kongress darüber, was sie unter gerechter Politik versteht. Özdemir wirbt dafür, den Menschen wieder ein soziales Aufstiegsversprechen zu geben. „Es geht um die gleiche Freiheit für alle, selbstbestimmt etwas aus dem Leben machen zu können“, sagt er. Im Bundestagswahlkampf 2017 will die Ökopartei die Gerechtigkeitsfrage zu einem zentralen Thema machen – neben dem Klimaschutz und der Auseinandersetzung um eine offene Gesellschaft.

Natürlich wird es dabei auch um die Frage gehen, wie stark die Grünen über die Steuerpolitik umverteilen wollen. Doch nach den Erfahrungen bei der letzten Bundestagswahl will nicht nur Özdemir eine zugespitzte Auseinandersetzung über das Steuerthema vermeiden. Als einer der Gründe für das schlechte Abschneiden bei der letzten Wahl gilt bei vielen, dass die Partei potenzielle Wähler mit ihren umfangreichen steuerpolitischen Forderungen überfordert habe.

Mit Vorschlägen von der Anhebung des Spitzensteuersatzes über eine Vermögensabgabe bis zur Abschmelzung des Ehegattensplittings legten die Grünen ein Konzept vor, das zwar bis ins letzte Detail durchgerechnet war, aber selbst für die vielen Wahlkämpfer an den Ständen nicht mehr zu erklären war. Im Nachhinein lautete die Diagnose, dass man im Wahlprogramm einfach zu viel aufeinandergepackt habe.

Diesen Fehler will die Parteiführung bei der nächsten Bundestagswahl nicht noch einmal wiederholen. In der umstrittenen Steuerfrage verordnete die Partei sich deshalb zunächst einmal Ruhe. Unter Leitung von Parteichefin Simone Peter wurde eine Steuerkommission ins Leben gerufen, die bis Anfang Juli einen Bericht vorlegen soll. Auf dem Parteitag im November schließlich wollen die Grünen ein neues Steuer- und Finanzkonzept beschließen.

Doch das Problem ist: Auch wenn viele in der Partei sich einig sind, dass sie die Steuerpolitik nicht ins Zentrum des Wahlkampfs stellen wollen, sind doch die Instrumente nach wie vor stark umstritten. Deshalb wird auch die Steuerkommission der Partei keinen konkreten Vorschlag zur Vermögensbesteuerung machen, sondern mehrere Varianten für den Parteitag im Herbst skizzieren. Eine hitzige Debatte wird sich dann wohl kaum noch vermeiden lassen.

Der linke Flügel wirbt für die Vermögenssteuer

Der linke Flügel rund um Parteichefin Peter wirbt dafür, dass die Grünen im Wahlkampf für eine Vermögenssteuer eintreten. Die Parteilinke sieht darin ein klares Signal, die zunehmende Spaltung in Arm und Reich aufzuhalten. Doch bei den Realos halten viele das Instrument nicht für geeignet, um hohe Vermögen stärker an der Finanzierung staatlicher Aufgaben zu beteiligen. Die Forderung nach einer Vermögenssteuer sei Symbolpolitik, die kaum umsetzbar sei. Eine verfassungsfeste Lösung zu finden, mit der Betriebe nicht in ihrer Substanz belastet würden, sei nahezu unmöglich, argumentieren sie – und treten stattdessen für eine Neuregelung der Erbschaftssteuer ein.

Auch beim Ehegattensplitting gibt es bisher noch keine Einigkeit: Während ein Teil der Frauenpolitikerinnen bei den Grünen sich dafür einsetzt, bei der bisherigen Forderung nach einem Abschmelzen des Ehegattensplittings zu bleiben, werben andere dafür, einen Bestandschutz für bereits geschlossene Ehen zu schaffen.

„Wir sollten nicht die im Stich lassen, die ihre Lebensplanung nach der aktuellen Gesetzeslage gemacht haben“, sagt die Familienpolitikerin Franziska Brantner. Die Bundestagsabgeordnete wirbt stattdessen dafür, das Ehegattensplitting für neu geschlossene Ehen abzuschaffen. „Wenn junge Leute heiraten, können sie sich von Anfang an darauf einstellen“, sagt Brantner. Im Gegenzug müssten künftig konsequent die Bedarfe der Kinder gedeckt werden – angefangen bei der Investition in gute Kitas und Schulen bis hin zur konkreten Unterstützung von Alleinerziehenden. „Da geht es um Entlastungen bis in die Mittelschicht hinein“, sagt die Familienpolitikerin.

Fratzscher: Mehr Umverteilung ist nicht die Lösung

Auf mehr Investitionen in die öffentliche Infrastruktur möchte auch Parteichef Özdemir stärker abheben. Der Gerechtigkeitsbegriff der Grünen gehe über die „bloße Umverteilung“ hinaus, sagt er. Zu den weiteren „Dimensionen“ zählen die Grünen die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern (etwa bei der Entlohnung), zwischen den Generationen (bei der Rente oder der Ökologie), sowie internationale Gerechtigkeit.

Unterstützung erhält Özdemir von Marcel Fratzscher, dem Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). In Deutschland gebe es ein riesiges Ungleichheitsproblem bei der Verteilung von Einkommen, Vermögen und Chancen, diagnostiziert Fratzscher.

Aus dem Publikum erhält er dafür Applaus. Deutlich stiller wird es, als er seine Antwort auf dieses Problem beschreibt: Mehr Umverteilung sei nicht die Lösung. Es sei weniger ein Problem, dass die obersten zehn Prozent in Deutschland fast 65 Prozent der privaten Vermögen besäßen, sagt der Ökonom. Es gebe aber kein Land in der Euro-Zone, in dem die untersten 40 Prozent so wenig hätten. Rund 40 Prozent der Deutschen hätten praktisch kein Nettovermögen, trägt Fratzscher vor. Viel wichtiger sei es deshalb, nach unten zu schauen, gibt der DIW-Forscher den Grünen mit auf den Weg.

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