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Der Volksmund sagt, geteiltes Leid sei halbes Leid. Das klingt so wahr wie wohlfeil, weil es nur innerhalb von Familien oder bei engen Freunden gilt – und keinen jäh aus dem Leben Entrissenen wieder lebendig macht.

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Germanwings Flug 9525: Jenseits des Abgrunds: Untröstlich, aber nicht trostlos

In Zeiten der Katastrophe mischen sich Empathie und Entsetzen immer auch mit Wissbegier - und die Grenze zwischen Aufklärungsbemühungen und Aufdringlichkeit ist schmal. Eine Gefahr, denn persönliche Trauer braucht vor allem Abstand. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Der Volksmund sagt, geteiltes Leid sei halbes Leid. Das klingt so wahr wie wohlfeil, weil es nur innerhalb von Familien oder bei engen Freunden gilt – und keinen jäh aus dem Leben Entrissenen wieder lebendig macht. Trotzdem bleibt die allgemeine Anteilnahme in diesen Tagen der Trauer etwas Besonderes. Eine andere Spruchweisheit sagt, wenn du lachst, lacht die Welt mit dir, wenn du weinst, dann weinst du allein. Auch das gilt nicht in jedem Fall. Und besonders ist, dass gerade in Zeiten der neuen innereuropäischen Zerrissenheit wieder neue, über gewohnte Rituale hinausgehende Gesten der mitfühlenden Gemeinsamkeit zu sehen sind. Das war so nach den Attentaten von Paris, das ist nun ähnlich nach dem Absturz des Germanwings-Flugs.

Anteilnahme setzt freilich die Mitteilung des Geschehenen voraus. Da geraten die Medien ins Spiel, eben dann, wenn das Spiel eine Tragödie ist. Dass Empathie und Entsetzen sich untrennbar auch mit Neugier, mit Wissbegier mischen, gehört zum Wesen der menschlichen Zivilisation, gehört zum Urgrund der Aufklärung. Oft nur schmal ist hierbei die Grenze, jenseits der das eindringliche Bemühen um Aufklärung zur Aufdringlichkeit wird, die den Respekt vor den Opfern und ihren Angehörigen verliert und den schützenden Abstand nicht wahrt, den persönliche Trauer braucht gegenüber jeder öffentlichen Mitleidsbekundung.

Durch seine Tat ist der Amokpilot mit Namen und Bild zur Person der Zeitgeschichte geworden

Seit dem Augenblick, als eines der Opfer, der junge Kopilot des Flugzeugs, sich nach bisherigem Ermessen auch als Täter entpuppte, überwiegt die Pflicht zur Information allerdings manche zuvor geübte Diskretion. Ein Selbstmord der so zugleich als Massenmord erscheint, rührt wiederum an Fragen der medialen Weltöffentlichkeit. Andy Warhol sprach einst von den 15 Minuten Ruhm für jedermann. Wollte hier nun ein bisher Namenloser, auf ungeheuerliche Weise, im doppelten Sinn in die Ewigkeit fliegen?

Durch seine Tat ist der Amokpilot mit Namen und Bild zur Person der Zeitgeschichte geworden. Aber müssen beispielsweise auch Wohnungen oder Häuser, in denen die Polizei nach Unterlagen fahndet, für sämtliche TV-Nachrichten von außen genau erkennbar gefilmt werden? Es sind Bilder, die keinerlei Informationswert haben, nur den Effekt, dass Mitbewohner und Nachbarn ihr Heim in aller Welt bloßgestellt sehen.

Noch kennen wir bei diesem Absturz nicht die Tiefe des Abgrunds. Was in den letzten Minuten des Germanwings-Flugs geschah, konnte ja keiner exakt vorausplanen, weil gar nicht feststand, ob, wann und wo der Pilot überhaupt das Cockpit verlassen würde. Darin liegt also etwas von Shakespeares Dramaturgie der Plötzlichkeit, die einen Menschen manchmal jählings etwas Ungeheures tun lässt, ohne dass es dafür eine (psycho)analytische Erklärung gäbe. Menschen sind bisweilen nicht nur die Ärzte, Menschen sind auch die Krankheit. Und alle Versicherungen, die uns schützen sollen, beruhen auf dem Prinzip der Unsicherheit. Sonst bräuchte es keine Versicherung.

Trauer muss jedoch nicht blind machen. Deswegen bleibt die Suche nach Erklärungen. Nach neuen Sicherungen. Was indes auch bleibt, ist ein Satz des großen Rheinländers Heinrich Böll: Literatur (und alle Kunst) ist untröstlich, aber nicht trostlos. Ein verdammt kluger, übertragbarer, auch nie ganz zu begreifender Satz. Mit einem Funken Hoffnung.

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