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Politik: „Geschichte ist wie ein Messer“

Polens ehemaliger Außenminister Bronislaw Geremek über deutsch-polnische Irrwege und Traumata

Europa macht sich zunehmend Sorgen um Polen. Im Kommunalwahlkampf gibt es nationalistische, bisweilen fremdenfeindliche Töne. Präsident Kaczynski sympathisiert mit der Todesstrafe, gegen Homosexuelle wird Stimmung gemacht. Sind Sie mit der Politik der polnischen Führung zufrieden?

Früher war unser Land einmal den Werten verbunden, die die Grundlagen Europas bilden. Jetzt bekommt das Bild Risse. Wenn ein Politiker bei uns sagt, man müsse „die Schwulen mit Knüppeln schlagen“, dann rückt das Polen an die Peripherie Europas. Das hat schließlich nicht irgendjemand gesagt, sondern ein Vertreter einer Regierungspartei.

Was will denn die derzeitige Regierung für eine Rolle Polens in Europa?

Ich verstehe nicht recht, was sie außenpolitisch erreichen will. Vor zwei Wochen hat Premier Jaroslaw Kaczynski in Brüssel die „Verpflichtung Polens auf europäische Werte“ beschworen. Das ist schon mal ein Anfang, doch so langsam erwarte ich Taten. Polen kann nicht nur auf andere zeigen, sondern muss auch selber artikulieren, was es will.

Zum Beispiel?

Wie hält es Polen etwa mit der Zusammenarbeit mit Frankreich und Deutschland? Die Absage des Weimarer Dreiecks-Jubiläumsgipfels in Deutschland von Präsident Kaczynski verstehe ich bis heute nicht, das habe ich gemeinsam mit all meinen Außenministerkollegen seit Ende des Kommunismus auch zum Ausdruck gebracht. Es ist noch immer wichtig für Polen, eine besondere Beziehung zu Frankreich und Deutschland zu haben – auch nach dem EU-Beitritt. Wir brauchen solch einen Ort, um etwa über die Zukunft der EU-Verfassung zu reden oder über eine gemeinsame Agrarpolitik. Außerdem könnten wir uns hier Gedanken über eine Ostpolitik der EU machen – gegenüber Russland, der Ukraine, Weißrussland und Moldau.

Die derzeitige Regierung scheint daran wenig interessiert zu sein.

Lassen Sie mich das mal so sagen: Es fällt mir als langjährigem Diplomaten immer schwerer, meine eigene intellektuelle Analyse noch mit der gebotenen diplomatischen Sprache in Einklang zu bringen. Es schmerzt mich, als Mitglied des Europaparlaments mit ansehen zu müssen, wie sich Polen immer weiter isoliert. Wir müssen das ändern. Polen braucht Freunde. Zumal die große Mehrheit der Bevölkerung für Europa ist – nur die derzeitige politische Elite ist euroskeptisch.

Bedroht die Politik von Ministerpräsident Jaroslaw und seinem Zwillingsbruder, Präsident Lech Kaczynski, die polnische Demokratie?

Um die Demokratie in Polen mache ich mir grundsätzlich keine Sorgen. Äußerungen aus der extremen Rechten werden hier scharf kritisiert, die Todesstrafe kann allein schon nach europäischem Recht nicht eingeführt werden, und Homosexuelle haben nichts zu befürchten. Allerdings macht mir die Hasspropaganda und die Fremdenfeindlichkeit der extremen Rechten schon Angst. Das ist in einer Gesellschaft wie der unseren, die sich immer noch im Umbruch befindet, sehr gefährlich – und widerspricht der freiheitlichen Tradition der Solidarnosc. Aber ich bin Historiker und denke in Episoden und Zeitrechnungen. Da bleibt mir die Hoffnung, dass das, was wir derzeit erleben, nur eine kurze Episode sein wird.

Die Kaczynski-Brüder proklamieren jetzt die „Vierte Republik“– in Abgrenzung zur kommunistischen Zeit und zum Kompromiss am runden Tisch mit der Solidarnosc 1989. Auch eine Episode?

Die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc hat den Kommunismus zerstört – in Polen und in ganz Europa. Das dürfen wir nie vergessen. Es macht mich sehr traurig, wenn heute etwas anderes behauptet wird. Wenn die heutige Propaganda nun die vierte Republik ausruft, dann versucht sie das Bild des friedlichen Regimewechsels in Polen zu verwischen, eines Wechsels, der europaweit ein Vorbild war. Historische Momente kurzfristigen Machterwägungen zu opfern, finde ich sehr bedauerlich.

War Ihrer Ansicht nach die Bewältigung der kommunistischen Vergangenheit in Polen bisher denn erfolgreich?

Das Kapitel ist noch lange nicht abgeschlossen. Wenn ich aber sehe, wie jetzt etwa mit dem Solidarnosc-Veteranen Jacek Kuron umgegangen wird, der nach seinem Tode unbeschreiblichen Hetzkampagnen ausgesetzt ist, dann wird mir angst und bange. Das richtet einen gewaltigen Schaden ein.

Der ehemalige Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter Zbigniew Brzezinski sprach kürzlich von einem „moralischen Überlegenheitskomplex“ vieler Polen, der sich aus der tragischen Geschichte des Landes ableite. Sehen Sie das genauso?

Selbst wenn das so wäre, hielte ich einen solchen Ansatz als Grundlage konkreter Politik für schwierig. Politik darf sich weder aus Überlegenheits- noch aus Minderwertigkeitskomplexen ableiten. Die nationalistische Politik, die wir in Polen derzeit erleben, zum ersten Mal seit dem Krieg, ist zwar auch ein Resultat unserer traumatischen Geschichte. Doch ein Trauma allein kann nie Gegenstand von Politik sein.

Gilt das auch für die deutsch-polnischen Beziehungen?

Polen braucht gute Beziehungen zu Deutschland. Das ist die conditio sine qua non für Polens Platz in Europa. Als ich vor 17 Jahren in Bonn Helmut Kohl traf, da sagte er mir, als Schüler Konrad Adenauers wolle er jetzt den dritten Teil des letzten Willens seines Lehrers erfüllen. Nach der deutsch-jüdischen und der deutsch-französischen Versöhnung wollte er die deutsch-polnische Aussöhnung verwirklichen – und das im Juni 1989, da stand die Mauer noch! Danach hat sich die Geschichte ungeheuer beschleunigt, Deutsche und Polen haben viel erreicht. Umso mehr wundert es mich, dass solch ein beeindruckendes politisches und psychologisches Ereignis wie die deutsch-polnische Aussöhnung zu Beginn der 90er Jahre jetzt wieder in Frage gestellt wird ...

... von Teilen der derzeitigen Regierung in Warschau.

Ja. Allerdings ist Deutschland an den derzeitigen Spannungen nicht ganz unschuldig. Ich denke da etwa an das Projekt der Ostseepipeline von Russland nach Deutschland. Da geht es doch gar nicht vorrangig um Energiepolitik. Dass Deutschland berechtigte Interessen hat, ist gar keine Frage. Doch das Projekt wurde von Russland ins Spiel gebracht – aus rein politischen Erwägungen. Jeder weiß, wie teuer das Projekt im Gegensatz zum Landweg ist. Dass Deutschland sich darauf eingelassen hat und dann auch noch zwei EU-Mitgliedsländer, Polen und Litauen, und ein sehr wichtiges europäisches Land wie die Ukraine nicht einbezogen hat, das war und ist ein großer Fehler. Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder dann auch noch im Pipeline-Aufsichtsrat zu sehen, das schmerzt. Und dann gibt es da noch den Streit um die gemeinsame Geschichte.

Bedeutet eine Ausstellung wie die des „Zentrums gegen Vertreibungen“, die sich mit Flucht und Vertreibung in ganz Europa befasst, gleich eine Revision der deutschen Schuld an den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges?

So weit würde ich zwar nicht gehen. Doch in der Konzeption des „Zentrums gegen Vertreibungen“ werden Deutsche als Opfer dargestellt, Polen als Täter. Über Verantwortung und Schuld wird nicht gesprochen – etwa darüber, dass es die Großmächte waren, die die Vertreibungen initiiert haben. Was mich darüber hinaus irritiert, ist die Renaissance, die der Gedanke dieses „Zentrums“ in der deutschen Politik offenbar erfährt. Waren wir uns nicht schon längst einig, dass dieses Projekt keinen offiziellen Anstrich bekommen sollte? Jetzt habe ich den Eindruck, das Projekt der Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach ist salonfähig geworden.

Sprechen sie den Vertriebenen grundsätzlich das Recht auf Erinnerung an erlittenes Leid ab?

Ich habe Respekt vor dem Leid der deutschen Vertriebenen. Doch Intention und Sprache sind sehr wichtig bei so einem Projekt. So muss die deutsche Verantwortung für die Vertreibung klar benannt werden. Wenn Frau Steinbach jetzt sagt, Hitlers Verbrechen hätten den Wunsch vieler Polen nach Vertreibung erst wahr gemacht, dann ist das eine absurde Verdrehung der Tatsachen. Ich erkenne darin keinen Versöhnungswillen. Im Übrigen zeigen wir Polen ja auch nicht auf die Ukraine oder auf Russland und halten denen die Vertreibung der Polen vor.

Die jetzige Regierung in Warschau macht nicht den Eindruck, an dem Alternativprojekt „Europäisches Netzwerk für Erinnerung“ ernsthaft interessiert zu sein.

Ist es denn die deutsche? Ich will nicht irgendwohin mit dem Finger zeigen. Meiner Ansicht nach ist die Erinnerung an Flucht und Vertreibung eine gesamteuropäische Aufgabe. Das haben schon die Präsidenten Johannes Rau und Aleksander Kwasniewski zum Ausdruck gebracht, und ich würde mich über ein klares Bekenntnis dafür von Seiten der Bundeskanzlerin freuen.

Angela Merkel spricht am Montag bei einer CDU-Gedenkveranstaltung zum Thema „60 Jahre Vertreibung“.

Das wäre der richtige Ort, um klarzustellen, dass die Bundesregierung das Zentrum gegen Vertreibungen nicht unterstützt. Grundsätzlich empfehle ich übrigens immer, erst einmal zuzuhören, bevor man kritisiert …

… wie Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski, der den Auftritt von Bundespräsident Horst Köhler auf dem „Tag der Heimat“ kürzlich verurteilte, ohne sich mit der Rede auseinandergesetzt zu haben?

Ja. Allerdings fällt es hier in Polen schon auf, dass die deutsche Politik gegenüber Warschau derzeit hauptsächlich auf Vertriebenentreffen zur Sprache kommt.

Brauchen Deutschland und Polen wieder eine starke Versöhnungsgeste, wie den Kniefall von Bundeskanzler Willy Brandt in Warschau oder den gemeinsamen Auftritt von Helmut Kohl und Präsident Francois Mitterand über den Gräbern von Verdun?

Signale des guten Willens aus Deutschland würden schon reichen. Warum sollten wir nicht eine neue Pipeline von Kasachstan über die Ukraine und Polen nach Deutschland bauen? Das wäre ein gemeinsames Projekt und würde dem polnischen Sicherheitsbedürfnis Rechnung tragen. Mein Eindruck ist, dass Polen auf so ein Zeichen wartet.

Von polnischer Seite kommen wenig solcher Zeichen. Noch immer gibt es keinen Regierungsbeauftragten für die polnisch- deutsche Zusammenarbeit, Gelder für den Jugendaustausch wurden storniert, kürzlich wurden sogar die Rechte der deutschen Minderheit in Frage gestellt.

Ministerpräsident Kaczynski hat deutlich gemacht, dass er den deutsch-polnischen Vertrag nicht antasten will. Über diese Klarstellung habe ich mich gefreut. Jetzt hoffe ich, dass die Regierung so schnell wie möglich wieder einen polnisch-deutschen Beauftragten benennt und die deutsch-polnischen Beziehungen nicht weiter fahrlässig in Frage stellt.

Sehen Sie sonst auch ein Stück Ihres eigenen Lebenswerkes in Gefahr?

Es wäre ein Alptraum, wenn all das, was wir in den letzten 16 Jahren erreicht haben, durch Hass und Propaganda zerstört wird. Ich habe den Krieg erlebt. Für meine, aber auch für jüngere Generationen ist die Geschichte präsent, zweifellos. Doch sie darf nie ein Instrument des Hasses werden. Einer der bedeutenden Historiker des letzten Jahrhunderts, der Franzose Marc Bloch, sagte einmal, Geschichte ist wie ein Messer. Man kann mit ihr Brot schneiden oder Menschen umbringen. Deutsche und Polen sollten das beherzigen.

Das Gespräch führten Sebastian Bickerich und Thomas Roser. Das Foto machte Adam Chelstowski.

ZUR PERSON

ÜBERLEBENDER

Bronislaw Geremek wurde 1932 als Sohn eines Rabbiners geboren und überlebte das Warschauer Ghetto. Später studierte er in Warschau und Paris Geschichte.

REVOLUTIONÄR

Als Berater von Arbeiterführer Lech Walesa und geistiger Kopf der Opposition kämpfte er für den Sieg der Solidarnosc über die kommunistische Diktatur. Nach der Verhängung des Kriegsrechts wurde er interniert und bekam Berufsverbot.

AUSSENMINISTER

1989 wurde er ins polnische Parlament gewählt, als Außenminister (1997-2000) erlebte er den Nato-Beitritt Polens. Seit 2004 sitzt Geremek für die Liberalen im Europaparlament.

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