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Politik: Geschichte machen oder bloß Geschichten erzählen?

Jetzt steht er schon wieder in dieser Runde, in der er gar nicht mehr stehen will. Gregor Gysi hat die Kandidaten der anderen - Parteien in den langen Wahlkampfwochen nicht gerade als Herausforderung verstanden.

Jetzt steht er schon wieder in dieser Runde, in der er gar nicht mehr stehen will. Gregor Gysi hat die Kandidaten der anderen - Parteien in den langen Wahlkampfwochen nicht gerade als Herausforderung verstanden. "Intellektuell unter meinem Nivau", hat er vor Vertrauten immer wieder gemurmelt. Gysi, der die rhetorisch-intellektuelle Auseinandersetzung jedem guten Essen vorzieht, muss in den vergangenen Wochen viel gegessen haben.

Zum Thema Ergebnisse I: Stimmenanteile und Sitzverteilung im Abgeordnetenhaus Ergebnisse II: Direktmandate im Abgeordnetenhaus Ergebnisse III: Ergebnisse nach Regionen (Abgeordnetenhaus und BVV) WahlStreet.de: Die Bilanz Jetzt aber, in der Runde der Spitzenkandidaten beim Herrn Bellut vom ZDF, ist Gysi nicht gelangweilt. Ganz wach huschen die Augen durchs Wahlstudio, über die Gesichter der anderen. Und dann blitzen sie sogar. Als der Herr Bellut den Regierenden Bürgermeister Wowereit fragt, ob er denn eine Koalition mit der PDS nach wie vor für möglich halte. Von schräg unten blickt Gysi ins Wowereitsche Gesicht, die Augen noch größer, erwartungsvoll. "Das habe ich vor der Wahl nicht ausgeschlossen, das schließe ich auch jetzt nicht aus", sagt der Regierende. Gysi nickt zufrieden. Heute ist sein Tag. Rund 23 Prozent. Der Kleinste in der Runde darf deshalb starke Sprüche klopfen. "Rot-Rot ist jetzt wahrscheinlicher als die Ampel", sagt er frech. Das stimmt zwar nicht, aber es gefällt Gysi, der dann wie ein Feldherr mit einem Tross aus 60 kamera- und schreibblocktragenden Gefolgsleuten davonschreitet.

In den letzten Wahlkampftagen hatte man einen müden, einen ernsten Gysi beobachten können. Am Donnerstagabend etwa, bei der Abschlusskundgebung seiner Partei. Mitgenommen wirkt er da, ausgebrannt. Seine Rede liest er anfangs ab, verhaspelt sich, das passiert ihm sonst nie. Dieser Wahlkampf, zu dem ihn seine Genossen lange überreden mussten, ist anders gelaufen, als er erwartet hatte. Selbst die Parteifreunde hatten nicht mit diesem Ergebnis gerechnet. Nein, Gysi hat diesen Wahlkampf nicht genossen. Von seiner Entzauberung war die Rede. Weil er viel über Abfallwirtschaft oder sonstige öffentliche Dienste reden musste statt über seine Themen: Neuordnung der Weltwirtschaft oder Deutschland als Brücke zwischen Ost und West. Die Entzauberung besorgten - unfreiwillig - aber auch jene Mitbewerber, die Gysi nicht zu rhetorischer Höchstform anstacheln wollten.

Immer wieder wurde er dieser Tage gefragt, ob der PDS die Terroranschläge eher genützt oder geschadet habe. "Ich weiß es nicht", hat Gysi da gesagt. Dabei ist die Antwort recht klar: Ein bisschen hat der 11. September genützt, ein entscheidendes Bisschen hat er geschadet. Seit Beginn der Gegenschläge hat die selbsternannte Anti-Kriegs-Partei PDS von ihrer Friedensrhetorik klar profitiert. Soviel zum positiven Bisschen. Das entscheidende aber ist der Sinneswandel beim vermeintlichen Koalitionspartner. Seit die PDS in der Krise ihr wahres außenpolitisches Gesicht zeigte, schien die SPD endgültig vor einer festen Beziehung mit den Genossen zurückzuschrecken. So hat die PDS nach dem 11. September zwar Prozente gewonnen, aber ein Stück Regierungsoption verloren. Auch wenn Wowereit an diesem Abend noch nichts ausschließen will, auch wenn die von der SPD favorisierte Ampel nur über eine Mini-Mehrheit verfügen wird.

In Gysis Umfeld orakelt man schon: Ein, zwei Jahre werde die SPD nun wohl rumampeln, dann werde das Dreierbündnis platzen, und die PDS stünde als Retter des Wowereit bereit. Sozialistische Träume, die aber ohne Gysi stattfinden müssen. Denn wenn er auf seinen Senatorenposten verzichten muss, wird er weiter im Bundestag bleiben. Das mit dem Bürgermeisterwerden hat er ja selbst nie geglaubt. Wobei: Schön war die Geschichte schon, die er immer wieder zum Schluss seiner Wahlkampfauftritte preisgab. Dass ein sozialistischer Bürgermeister in der deutschen Hauptstadt etwas so Exotisches sei, dass plötzlich die ganze Welt nach Berlin reisen würde, um sich den schrägen Vogel in Amt und Würden mal aus der Nähe anzugucken. Diese Neugierigen hätten dann übernachten, essen, einkaufen müssen, alles in Berlin. "Mit mir als Bürgermeister hätten wir also einen unmittelbaren wirtschaftlichen Aufschwung für Berlin", hat Gysi gewitzelt. Dieser Aufschwung wird wohl ausbleiben. Am Ende bleibt Gysi eben vor allem eines: ein guter Geschichtenerzähler.

Markus Feldenkirchen

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