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Die Zahl der Nichtversicherten geht beständig zurück. Doch viele können nicht zahlen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Gesetzliche Krankenkassen: Immer mehr Versicherte können Beiträge nicht zahlen

Die Zahl derer, die ihre Krankenversicherung nicht bezahlen können, steigt drastisch. Schon jetzt schulden gesetzlich Versicherte in Deutschland ihren Krankenkassen 1,67 Milliarden Euro.

Auf den ersten Blick ist es ein sozialpolitischer Erfolg. Seit die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vor vier Jahren eine Krankenversicherungspflicht für alle durchgedrückt hat, ist die Zahl der Nichtversicherten in Deutschland um 30 Prozent gesunken. Inzwischen seien nur noch 137.000 Personen ohne Krankenversicherungsschutz, meldete am Montag das Statistische Bundesamt. Das sind weniger als 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Am häufigsten betroffen sind Selbstständige und Erwerbslose, von denen immer noch 0,8 Prozent im Krankheitsfall nicht abgesichert sind. Und bei zwei Dritteln der Nichtversicherten handelt es sich um Männer.

Allerdings hat die Erfolgsbilanz eine unschöne Kehrseite: Immer mehr Krankenversicherte können ihre Beiträge nicht mehr bezahlen. Früher war das für die Versicherer kaum ein Problem, denn egal ob gesetzlich oder privat versichert: Wer auch nach mehrmaliger Mahnung nicht zahlte, dem wurde gekündigt – und er stand schlimmstenfalls ohne Versicherungsschutz da. Da dies nun nicht mehr möglich ist, müssen die Versicherer sehen, wie sie zu ihrem Geld kommen.

Wie der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dem Tagesspiegel bestätigte, sind die Beitragsschulden in einem knappen  Jahr um 55 Prozent gestiegen – von 1,08 Milliarden im August 2011 auf 1,67 Milliarden Euro im Juni 2012. Allein bei der Barmer GEK summieren sich die Rückstände durch 52.000 Privatschuldner auf 227 Millionen Euro. Plus 300 Millionen, die Arbeitgeber der Barmer für ihre Beschäftigten schuldig geblieben sind.

Wer nicht zahlt oder nicht zahlen kann, hat ein finanzielles Problem, das sich exponenziell vergrößert. Denn die Kassen sind verpflichtet, ab dem zweiten Monat des Rückstands monatlich fünf Prozent Säumniszuschlag zu erheben. Mit der Frage, ob diese fünf Prozent angemessen sind, beschäftigt sich derzeit das Bundessozialgericht – deshalb will sich der GKV-Spitzenverband dazu nicht äußern. Hinter vorgehaltener Hand spricht aber auch mancher Kassenfunktionär  von verordnetem Wucher, durch den man die Betroffenen noch tiefer in die Schuldenspirale treibe. Und die Logik, dass säumige Unternehmen nur einen Zuschlag von einem Prozent zahlen müssen, erschließt sich auch nicht allen. Doch immerhin: Medizinisch versorgt werden auch Beitragsschuldner. Das Niveau der ihnen zugestandenen Notfallversorgung freilich ist niedrig, es orientiert sich am Ayslbewerberleistungsgesetz. Vorgesehen ist nur eine medizinische Versorgung in Notfällen, bei Schmerzen und in allen Fällen rund um Schwangerschaft und Geburt.

Auch in der privaten Krankenversicherung (PKV) kennen sie das Problem – es ist, im Verhältnis zur Versichertenzahl, noch größer als bei den gesetzlichen Kassen. Nach Verbandsangaben summieren sich die Beitragsschulden in der PKV aktuell auf 550 Millionen Euro. Im Rückstand befinden sich etwa 140.000 Versicherte – das sind etwas mehr als 1,5 Prozent. Auf Betreiben des Verbandes prüft das Gesundheitsministerium daher schon seit geraumer Zeit, ob man nicht einen sogenannten Nichtzahlertarif anbieten sollte. Darunter ist nicht etwa die Einladung zu verstehen, künftig fürs Versichertsein gar nichts mehr zu bezahlen. Vielmehr geht es um die möglichst günstige Absicherung einer Notversorgung für besonders klamme Versicherte. Zur Debatte steht ein Monatsbeitrag von rund 100 Euro.

Für die Versicherer wäre das allemal besser als gar nichts zu bekommen. Und auch säumige Kunden bekämen aus Verbandssicht so die Chance, sich schneller wieder aufzurappeln und nicht vollends im Schuldenstrudel zu versinken. Allerdings müsste sich Minister Daniel Bahr bei dem Thema mit den Ressorts für Justiz (Versicherungsvertragsgesetz) und Finanzen (Versicherungsaufsichtsgesetz) zusammenraufen – was offenbar keine leichte Sache ist. Die „fachlichen Arbeiten dauern noch an“, so das Ministerium: „Aussagen zum konkreten Regelungsinhalt eines möglichen Gesetzes können daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht getroffen werden.“

Regelungsbedarf sehen Politiker allerdings auch in der GKV. Es sei „nicht in unserem Interesse, dass man Kioskbesitzer und andere Kleinunternehmer in Zahlungsprobleme treibt“, sagt der CDU-Sozialpolitiker Jens Spahn. Er fordert, den Mindestbeitrag für gering verdienende Selbständige zu senken. Derzeit beträgt dieser, basierend auf einem unterstellten Einkommen von 1969 Euro, 293 Euro im Monat. Da viele, zumindest zeitweise, weniger verdienten, sei diese fiktive Bemessung zu hoch angesetzt, meint Spahn.

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