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Ruanda. Eine Ärztin in einer ländlichen Arzneiausgabe gibt Medizin an Patientin aus.

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Ruanda-Tagebuch (4): Gesundheit in Ruanda - eine Erfolgsgeschichte

Dramatisch gesunkene Müttersterblichkeit und weniger Malaria-Erkrankungen zählen zu den Erfolgen von Ruandas gemeindebasierter Pflichtkrankenkasse - einem für Afrika einzigartigen System.

Erinnert sich noch jemand an Friedrich Merz (CDU), der seinerzeit die Steuererklärung auf einem Bierdeckel einführen wollte? In Ruanda wäre er ein glücklicher Mann. Das Steuersystem des zentralafrikanischen Landes ist so einfach, dass die Steuererklärung tatsächlich auf einem Bierdeckel erledigt werden könnte. Wer weniger als 30 000 Ruandische Francs (rund 30 Euro) im Monat verdient, zahlt gar keine Steuern. Wer zwischen 30 000 und 100 000 Ruandische Francs (rund 100 Euro) im Monat verdient zahlt 20 Prozent Einkommensteuer, wer darüber liegt, zahlt 30 Prozent. 

Ähnlich einfach berechnet sich der Beitrag der gemeindebasierten Pflichtkrankenkasse in Ruanda. In keinem anderen Land Afrikas gibt es bisher eine solche Versicherung, die flächendeckend funktioniert.  Die Ärmsten – das sind rund 25 Prozent der Bevölkerung – zahlen überhaupt keine Beiträge. Wer halbwegs zurecht kommt, zahlt eine Kopfpauschale von 3000 Ruandischen Francs (etwa drei Euro) im Jahr für sich selbst und für jedes weitere Familienmitglied ebenfalls 3000 Francs. Wer als reich gilt, zahlt 7000 Ruandische Franc pro Kopf der Familie.

System der Krankenversicherung scheint zu funktionieren

Die Einkommenseinschätzungen in diese drei Kategorien basieren auf einer Selbsteinschätzung, die mit einer Schätzung in einer Gemeindeversammlung kombiniert wird. Letztlich entscheiden also die Gemeindemitglieder darüber, wie hoch der Versicherungsbeitrag pro Versichertem ist. Die gelbe Versicherungskarte berechtigt die Bürger, sich in einem Gesundheitszentrum behandeln zu lassen. Wenn es eine akute Krankheit oder eine Operation ist, die dort nicht behandelt werden kann, wird er ans nächst gelegene Krankenhaus überwiesen. Bei jedem Besuch im Gesundheitszentrum ist eine Eintrittsgebühr von 200 Ruandischen Francs (etwa 20 Cent) fällig. Wer ins Krankenhaus gefahren werden muss, zahlt noch einmal 1000 Franc (rund zehn Euro) für den Transport in der Ambulanz.

Das System scheint zu funktionieren. Nach offiziellen Statistiken liegt die Behandlungsrate in den Gesundheitszentren bei mehr als 80 Prozent. Ladislas Sibomana ist am Mittwochmorgen ins Gesundheitszentrum in Ngoma gelaufen. Er hatte es nicht weit, er wohnt nur einen Kilometer davon entfernt. Er ist vor einiger Zeit auf den Rücken gefallen und klagt über Rückenschmerzen und Schmerzen in der Brust. Wenn ihm im Gesundheitszentrum nicht mit Medizin geholfen werden kann, lässt er sich ins Krankenhaus überweisen. Er ist Bauer und 43 Jahre alt. Seine beiden Kinder sind in dem 2009 eröffneten Gesundheitszentrum zur Welt gekommen. Er zahlt keine Krankenversicherung und sagt: „Ich bin der Regierung von Präsident Paul Kagame dankbar, dass sie sich um uns kümmert.“ Würde er Geld verdienen, „würde ich gerne Beiträge bezahlen, sogar für andere, die nichts bezahlen können“, sagt er. Bevor das Gesundheitszentrum eröffnet wurde, das von der belgischen Regierung bezahlt und ausgestattet worden ist, musste Sibomana 20 Kilometer bis zum nächsten Gesundheitszentrum laufen. Der Weg führte durch den Wald und über einen Fluss, über den es keine Brücke gibt.

Gesundheitshelfer in jedem Dorf

Damit die Patienten nicht warten, bis eine Krankheit nur noch schwer zu behandeln ist, und damit sie sich an die Vorgaben der Regierung zur Gesundheitsvorsorge halten, gibt es in jedem Dorf Gesundheitshelferinnen oder –helfer. Sie werden von ihrem Dorf gewählt und dann ausgebildet. Die 52-jährige Jaqueline Kankuyo ist eine solche Gemeindehelferin. Sie besucht regelmäßig die Eltern von Kindern, die jünger als fünf Jahre alt sind. Sie begleitet die Mütter zum Gesundheitszentrum, damit sie die Impftermine für ihre Kinder nicht verpassen. Wenn die Kinder unterernährt sind, sorgt sie dafür, dass sie besser ernährt werden oder gibt ihnen Spezialnahrung. Sie kann Durchfallerkrankungen, Fieber, Malaria und Lungenentzündung behandeln. Sie achtet darauf, dass die Leute die kostenlos verteilten Moskitonetze auch wirklich aufhängen, und immer ein Eimer Wasser im Badezimmer steht, damit eine Mindesthygiene gegeben ist. 2007 hat ist sie gewählt worden. Solange sie selbst es kann, bleibt sie im Amt. Nur wenn sie umziehen sollte oder selbst krank wird, könnte sie abgelöst werden. An diesem Morgen hat sie eine Schwangere ins Gesundheitszentrum begleitet. Drei Vorsorgetermine können schwangere Frauen in Anspruch nehmen – und werden durch die Gemeindehelferinnen auch mit sanftem Zwang ermutigt, sie in Anspruch zu nehmen. Auch Geburten finden inzwischen fast immer im Gesundheitszentrum statt. Nach Auskunft von Valens Ntaganira, dem Verwaltungschef des Gesundheitszentrums in Ngoma, kommen hier jeden Tag ein bis zwei Kinder zur Welt.

Warum ausgebildete Ärzte im Land bleiben

Personal gibt es noch nicht genug, um alle Gesundheitszentren und Krankenhäuser mit qualifizierten Arbeitskräften auszustatten. Aber eine Abwanderung von ausgebildeten Ärzten oder Krankenschwestern ist in Ruanda offenbar die Ausnahme. Uzziel Ndagijimna, Staatssekretär im Gesundheitsministerium in Kigali, weiß auch warum: Die medizinischen Berufe sind in Ruanda nicht nur geachtet, sie werden auch überdurchschnittlich gut bezahlt. Eine ausgebildete Krankenschwester verdient im Monat netto 150 000 Ruandische Franc (etwa 150 Euro), ein Arzt kommt auf 400 000 Ruandische Franc (rund 400 Euro). Im Vergleich mit einer Grundschullehrerin, die gerade mal 30 000 Franc (30 Euro) im Monat verdient, ist das nicht schlecht. Bisher hat Ruanda jährlich 300 Krankenschwestern ausgebildet. Die Zahl der Ausbildungsplätze an den Krankenpflegerschulen ist aber nun verdoppelt worden. Und auch an den Universitäten ist die Zahl der Medizinstudienplätze stark erhöht worden. An der Universität in Huye beispielsweise können von diesem Jahr an 200 junge Leute Medizin studieren, bisher waren es 100, auf die sich bis zu 3000 Menschen beworben haben. 

Jugendgesundheitsberater sprechen wichtige Themen an

Im Gesundheitszentrum Rubona, nicht weit von der Stadt Huye entfernt, treffen sich einmal im Monat junge Leute, die vor mittlerweile sechs Jahren als sogenannte Peer Educator, eine Art Jugendgesundheitsberater, ausgebildet worden sind. Sie veranstalten in den Dörfern regelmäßig Fußballturniere, Theateraufführungen oder Spiele, um im Anschluss über die für Jugendlichen relevanten Gesundheitsthemen zu sprechen: Alkohol, Drogen, sexuell übertragbare Krankheiten wie HIV, ungewollte Schwangerschaften, wie Verhütungsmittel funktionieren, und wie man Kondome richtig benutzt. Offenbar gelingt es ihnen, die Jugendlichen zu erreichen. Jedenfalls haben sie die 24-jährige Bäuerin Epiphanie Mukaseikuru erreicht. Wegen ihrer Monatsblutung, berichtet sie, habe sie nicht einen Tag Schule verpasst. Sie sei informiert gewesen. Und mit ihrem Freund könne sie reden, damit sie auf Sex verzichten. Wenn sie es gar nicht aushielten, wüssten sie aber auch beide, wie sie sich vor einer ungewollten Schwangerschaft schützen könnten.

Die Erfolge der Krankenversicherung und der flächendeckenden Versorgung mit Gesundheitszentren bis zu den unbezahlten Gemeindehelfern sind statistisch nachzuweisen. Die Müttersterblichkeit ist dramatisch gesunken, die Zahl der Kinder, die vor ihrem fünften Geburtstag sterben, ist ebenfalls deutlich gefallen.  Die HIV-Rate ist auf drei Prozent der Bevölkerung stabilisiert worden, und wer an Aids erkrankt bekommt Medikamente. Die Zahl der Tuberkulose-Fälle und der Malaria-Erkrankungen ist ebenfalls zurückgegangen. Nicht nur wegen der Bettnetze, sondern auch, weil die Gemeindehelferinnen den Dorfbewohnern immer wieder erklären, dass sie keine stehenden Gewässer, keine Pfützen und keine Behälter mit Wasser herumstehen oder liegen lassen sollen. Denn überall dort entwickeln sich Moskitos. Die Finanzierung steht allerdings noch einige Zeit auf etwas tönernen Füßen.

Lediglich 60 Prozent der Ausgaben lassen sich aus der Krankenversicherung erwirtschaften, den Rest tragen bisher externe Geber wie beispielsweise der Globale Fonds gegen Aids, Malaria und Tuberkulose, Belgien und die USA. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat sich dagegen Ende 2012 nach mehr als 30 Jahren aus dem Gesundheitssektor in Ruanda zurückgezogen – auf Wunsch der Regierung. Denn die will mittelfristig unabhängig werden von den externen Gebern. Und von den Deutschen erhofft sich Ruanda dafür mehr Unterstützung bei der Berufsbildung.

Dagmar Dehmer hält sich auf Einladung der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) eine Woche lang in dem zentralafrikanischen Land Ruanda auf. Hier berichtet sie von ihren Eindrücken 20 Jahre nach dem Völkermord.

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