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Politik: Geteiltes Gedenken

Im Streit um das Kriegerdenkmal bemüht sich Estland um Versöhnung – aus Moskau kommen scharfe Töne

Berlin - Nie zuvor ist in Estland der Jahrestag des Kriegsendes mit so großer Spannung erwartet worden wie diesmal. Aus Furcht vor Ausschreitungen wurde die Polizei in höchste Alarmbereitschaft versetzt, die Behörden verhängten Versammlungsverbote, und sogar der Verkauf von Alkohol wurde verboten. Ende April war es in Tallinn zu schweren Ausschreitungen gekommen, als Angehörige der russischen Minderheit gegen die Umsetzung eines Kriegerdenkmals protestierten. Die estnische Botschaft in Moskau war zudem tagelang von russischen Jugendlichen belagert worden.

Der Konflikt, der sich zur politischen Krise zwischen Estland und Russland ausgeweitet hat, nahm genau vor einem Jahr seinen Anfang – auch an einem Gedenktag: Am 9. Mai 2006 hätten Demonstranten vor dem Bronzesoldaten im Stadtzentrum rote Fahnen geschwenkt, eine estnische Flagge sei heruntergerissen worden, erinnert sich Verteidigungsminister Jaak Aaviksoo in einem Interview. „Das war der Moment, an dem viele Esten genug hatten.“ Sie sahen darin eine Glorifizierung der sowjetischen Besatzungsmacht.

In der Beurteilung der Vergangenheit ist das Land tief gespalten – nicht zuletzt wegen der großen russischen Minderheit. Diesem Zwiespalt versuchten Präsident Toomas Hendrik Ilves und Regierungschef Andrus Ansip in einer gemeinsamen Erklärung Rechnung zu tragen: „Für viele bedeutet das Ende des Zweiten Weltkrieges den Sieg der Freiheit über die Tyrannei, und für viele bedeutet es, dass ein gewalttätiges Regime durch ein anderes ersetzt wurde.“ Selbst das Gedenken an das Kriegsende findet in Estland an zwei verschiedenen Tagen statt: Der offizielle Gedenktag ist der 8. Mai, für die russische Minderheit gilt aber der 9. Mai als Tag des Sieges, so wie er auch in Russland gefeiert wird. Zum Zeichen der Versöhnung legte Ansip am Dienstag auch am Denkmal des Bronzesoldaten einen Kranz nieder – kein Regierungschef vor ihm hat das getan. Doch aus Moskau kamen am Mittwoch alles andere als versöhnliche Töne: Wer Denkmäler von Kriegshelden entehre, säe „Feindschaft und Misstrauen zwischen Völkern und Menschen“, warnte Präsident Wladimir Putin bei der Militärparade zum Tag des Sieges. In Tallinn reagierte man zurückhaltend: „Die estnische Regierung ehrt die Erinnerung an alle im Krieg Gefallenen“, betonte eine Sprecherin des Außenministeriums.

Estland bemüht sich um Entspannung: „Wir waren und sind bereit zu einem konstruktiven Dialog“, sagte die Sprecherin. Aber dieser Dialog hat noch nicht einmal begonnen. Aus Moskau kamen bisher andere Signale: Der Transit von Öl über Estland wurde eingeschränkt, die Zugverbindung von Tallinn nach St. Petersburg wird gestoppt, und in Russland gibt es Aufrufe zum Boykott estnischer Waren. „Das sind versteckte Sanktionen, die unserer Wirtschaft aber bisher nicht schaden“, heißt es im estnischen Außenministerium. Die Regierung will den Konflikt beim EU-Außenministertreffen in der kommenden Woche zur Sprache bringen.

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