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Bürger in Köln machen der schwer verletzten und gerade gewählten neuen Oberbürgermeisterin Henriette Reker an ihren Wahlplakat Mut zum Weitermachen.

© Oliver Berg/dpa

Gewalt gegen Politiker: Wie gefährlich ist Verachtung?

Ein Psychologe erklärt: Attentäter handeln meistens wahnhaft. Aber die Angriffe verändern die Amtsführung von Politikern meistens nicht. Wenn die Verachtung für Amtsträger steigt, sind weitere Übergriffe zu befürchten.

Nach dem Messer-Attentat auf die neu gewählte Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) ist noch unklar, wann sie ihr Amt antreten kann. Der Politik- und Gesellschaftspsychologe Thomas Kliche sieht in einem solchen Angriff aus psychologischer Sicht kein Hindernis, das politische Amt auszuüben. Auf die Frage, in welchem Maß Politiker nach einem Attentat in ihrer Amtsführung psychisch eingeschränkt seien, sagte er der Nachrichtenagentur AFP: "Gar nicht, das zeigen viele Beispiele. Menschen steigen nach einem Unfall ja auch wieder ins Auto."

Politik geht nicht ohne Öffentlichkeit und Austausch

Wenn die Betroffenen ihre politische Arbeit fortsetzen, könnten sie sich nicht aus der Öffentlichkeit zurückziehen. "Politiker können sich gar nicht abschotten, kaum ein Beruf hat so viel Austausch. Sie erleben Menschen im Wahlkreis, auf Veranstaltungen und Festen, auf Fachtreffen und Verbandstagungen", sagte der Experte. "Da spüren sie Stimmungen, da sammeln sie Anstöße, Argumente, Wissen über unsere Gesellschaft."

Insgesamt komme es nach derartigen Erfahrungen zwar häufig vor, dass Themen wie Traurigkeit, Angst und Bitterkeit bei Betroffenen mehr Raum einnähmen. Bei Politikern sei aber oft wenig grundsätzliche "Umorientierung" zu sehen, sagte Kliche. Das sei erklärbar: "Das, was uns alle letztlich auf der Bahn hält, ist das, was wir für sinnvoll und wichtig halten. Das ändert sich ja nicht durch den Hass und die Verwirrung anderer."

Politiker dienen auch als Projektionsflächen für komplexe Veränderungen

Weitere Angriffe auf Politiker seien angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Stimmung nicht auszuschließen: "Politiker werden zum Gefühls-Container, sie dienen zur Entsorgung unangenehmer Gefühle, sie dürfen verachtet oder gehasst werden", sagte Kliche. "Das spüren auch psychisch veränderte Menschen. Wenn das so weitergeht, werden Attentate zunehmen." Die vielfach spürbare Entfremdung zwischen Bürgern und Politikern erklärt der Politikpsychologe damit, dass komplexe Problemlagen wie die Flüchtlingskrise allein auf nationaler Ebene nicht mehr zu lösen seien.

Dies könnten Politiker auch mit "ganz viel Volksnähe" nicht kompensieren und zögen so Verbitterung auf sich. "Über das Ende des beschaulichen Versorgungsstaats sind viele Menschen den Politikern böse", sagte Kliche. Attentäter selbst handelten meist aus einer Mischung aus Fanatismus, psychischer Veränderung und Gruppenglauben. "Sie leben oft in einer Scheinwelt voll klarer Feinbilder und in dem wahnhaften Glauben, viele wären auf ihrer Seite."

Dieser Glaube entstehe durch "soziale Verstärkung", etwa wenn sich jemand nur in rechtsextremen Kreisen bewege. In diesem Zusammenhang sei dann auch das Internet eine Gefahr. Es sei dort leicht, "sich auf immer gleichen Websites im Kreis zu drehen und immer neue Bestätigung für ein sektenhaftes Wahnbild der Welt zu holen". (AFP)

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