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Politik: Gewalt von Rechts: Schrecken ohne Ende

Erschlagen, zusammengetreten, erstochen: Mindestens vier Menschen haben seit April 2000 die Angriffe rechter Täter nicht überlebt. Möglicherweise ist die Zahl höher - in neun weiteren Fällen seit 1996 gibt es "rechte" Indizien.

Erschlagen, zusammengetreten, erstochen: Mindestens vier Menschen haben seit April 2000 die Angriffe rechter Täter nicht überlebt. Möglicherweise ist die Zahl höher - in neun weiteren Fällen seit 1996 gibt es "rechte" Indizien. Sollte sich der Verdacht bestätigen, wären nach der Vereinigung noch mehr als 97 Menschen dem rechten Terror zum Opfer gefallen: Insgesamt 106. Zunehmend scheint die Gewalt vor allem Obdachlose zu treffen. Diese Tendenz zeichnete sich schon im Sommer 2000 ab, als in Mecklenburg-Vorpommern in kaum mehr als einem Monat drei Männer ohne festen Wohnsitz zu Tode geprügelt wurden.

Wie haben Politik und Behörden in den letzten zwölf Monaten reagiert? Als Tagesspiegel und "Frankfurter Rundschau" am 14. September 2000 die Namen von 93 Todesopfern rechter Gewalt veröffentlichten, bat das Bundeskriminalamt mehrere Landeskriminalämter, jeden bislang nicht als rechtes Tötungsverbrechen geführten Fall zu prüfen. Zwei Monate später verkündete Bundesinnenminister Otto Schily, die offizielle Zahl der Todesopfer rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung sei korrigiert worden - von 25 auf 36. Im Februar wurde dann ein im September 2000 in Schleswig erschlagener Obdachloser als 37. Todesopfer genannt.

Unklar bleibt, ob alle Fälle aus der Liste der beiden Zeitungen geprüft wurden. Ein Beispiel: Am 5. Februar 1995 verprügelten in Velbert (Nordrhein-Westfalen) sieben Männer den Obdachlosen Horst Pulter. Dann wurde der 65-Jährige von einem der Schläger erstochen. Dieser war ein 22 Jahre alter Mann, den die Bundeswehr wegen rechter Umtriebe entlassen hatte. Im Prozess betonte die Staatsanwaltschaft Wuppertal, am nationalsozialistischen Hintergrund der Tat bestehe kein Zweifel. Dennoch teilte die Bundesregierung später mit, das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen habe keine Anhaltspunkte für eine politische Motivation der Tat. Das Polizeipräsidium Düsseldorf widerspricht: Der Fall Pulter sei ein Tötungsdelikt mit rechter Motivation. Und nun?

Sicherheitsexperten nennen zwei Probleme der nachträglichen Prüfung: Einige Landeskriminalämter empfänden jede Bitte um erneute Prüfung von Gewalttaten mit möglicherweise rechtem Hintergrund als Zweifel an ihrer Professionalität und blockten ab. Außerdem seien manche Ermittlungsakten aus den ersten Jahren nach der Vereinigung weg.

Indirekt hat selbst die Bundesregierung eingeräumt, dass die Zahl von 93 Todesopfern rechter Gewalt realistisch sein könnte. Dies ergibt sich aus dem "Ersten Periodischen Sicherheitsbericht", den Innen- und Justizministerium im Juli präsentiert haben. In dem 600-Seiten-Werk wird die Liste der beiden Zeitungen als Hinweis auf die Notwendigkeit einer verbesserten Erfassung von Staatsschutzdelikten gewertet. Im Mai zogen die Innenminister von Bund und Ländern schon Konsequenzen: die Erfassung rechter Taten wurde reformiert. Anstelle der bisherigen, auf schwere Anschläge gegen die freiheitliche Grundordnung fixierten Extremismus-Kategorie gilt nun das Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität". Es umfasst deutlich mehr rechte Delikte.

In einem Polizeipapier wird ein Beispiel genannt: "Der Angriff rechtsorientierter Jugendlicher oder auch Unbekannter auf einen deutschen Obdachlosen stellt eine - zu vermutende - politisch motivierte Tat dar". Gilt das nun auch für den Fall Horst Pulter?

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