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Politik: Giftiger Import

Der wachsende Antisemitismus in der muslimischen Welt benutzt vor allem europäische Muster

Berlin - Der Befund ist beunruhigend: Antisemitische Parolen und Propaganda breiten sich aus, antisemitische Gewalttaten haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen – nicht nur in arabischen Ländern und der Türkei, sondern auch in europäischen Staaten mit hohem Anteil muslimischer Migranten wie Frankreich und den Niederlanden. Und die Forderung des iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad, Israel von der Landkarte zu radieren, ist noch in frischer Erinnerung. Was geht hier vor? Entwickelt sich neben dem „alten“ europäisch-christlichen Antisemitismus jetzt ein „neuer“ muslimisch-arabischer Antisemitismus?

Nein, meint Wolfgang Benz, Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin – eine Einschätzung, die die Mehrheit seiner Fachkollegen teilt. „Der Rassismus der Europäer ist der islamischen Welt zutiefst wesensfremd“, erläuterte er auf der Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema „Antisemitismus – Forschung und aktuelle Entwicklungen“. Antisemitische Einstellungen seien erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert durch Diplomaten, Kolonialbeamte, Kaufleute aber auch katholische Priester und Missionare in die muslimische Welt importiert worden. Historisch gesehen blieben sie jedoch im osmanischen Reich ein Randphänomen. Insofern hat für Benz der muslimische Antisemitismus von heute keine neue Qualität. „Es gibt keinen neuen Antisemitismus“, sagt er, „allenfalls neue Erscheinungsformen“.

Und ein Vehikel für den Antisemitismus von heute sei die Israelkritik. Hier hätten sich auch bei der europäischen Bevölkerung die Gewichte in den letzten Jahren „dramatisch verschoben“. Die Sympathie des Publikums und der Medien „hat sich von Israel abgewandt“ und ist gewichen „einer pauschalen Verurteilung der israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik“.

Der Düsseldorfer Islamwissenschaftler Michael Kiefer plädiert dafür, nicht von einem islamischen Antisemitismus, sondern von einem „islamisierten“ Antisemitismus zu sprechen. Auch er sieht die eigentliche Zäsur im Verhältnis zwischen Muslimen und Juden im Palästinakonflikt. Im Zuge der Islamisierung des Denkens in den 70er Jahren wurde diese Auseinandersetzung zunehmend religiös gedeutet – im Rückgriff auf judenfeindliche Koransuren aus der Medinazeit. Die dort aufgelisteten „Verfehlungen“ bezichtigen die Juden, sie hätten ihre Propheten umgebracht, liebten Wortverdrehungen, seien vertragsbrüchig, verräterisch, hörten auf Lügen und brächten die Leute um ihr Geld – Passagen, die die Auseinandersetzungen Mohammeds mit den in Medina ansässigen jüdischen Stämmen widerspiegeln. Sie hätten jedoch in der islamischen Tradition der zurückliegenden Jahrhunderte nie eine Rolle gespielt, erläuterte Kiefer. Das begann sich erst zu ändern seit der Gründung des Staates Israel. Erstmals in der Geschichte des Islam werden nun diese judenfeindlichen Koranpassagen unter Muslimen breit rezipiert und gleichzeitig aufgeladen mit „Griffen in die Mottenkiste des europäischen Antisemitismus“.

Ergebnis ist eine mittlerweile „rasende Ausbreitung“ dieses „islamisierten“ Antisemitismus, der längst auch Berliner Schulen erreicht hat. 4500 Internetseiten mit islamistischen Hassparolen existieren im Web – einige haben regelrechten Kultstatus bei Jugendlichen, berichten Lehrer in der Diskussion. Und auf deutschen Schulhöfen – nicht nur unter arabischen und türkischen, auch unter deutschen Jugendlichen – habe eine Beschimpfung wieder Konjunktur, die lange Zeit als tabu galt: Du Jude.

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