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Politik: Gleichheit lernen

Von Gerd Nowakowski

Freiheit, Gleichheit, Einheitlichkeit – soll der Wertekanon der deutschen Schüler sich bald so lesen? Zumindest, wenn der flinke Einwurf der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries wahr wird, die Schuluniformen als Antwort auf zwei burkatragende Schülerinnen aus Bonn vorschlägt. Schon erstaunlich, wo wir doch beständig über Individualisierung und Selbstverwirklichung reden. Und nun ausgerechnet eine Schuluniform, die in anderen Ländern Tradition hat, in Deutschland aber historisch zweifach belastet ist – durch die Nazi-Pimpfe und FDJ-Blauhemden gleichermaßen?

Nein, um Uniformen und um uniforme Schüler darf es nicht gehen. Schön wäre es, wenn wir nur solche Schulprobleme hätten. Doch die heilsbringende Lösung für all die offenbar gewordenen Schwierigkeiten der Lehranstalten in den Problemkiezen Berlins und anderen bundesdeutschen Großstädten ist einheitliche Schulkleidung sicher nicht. Dazu sind die Probleme zu alarmierend. Trotzdem geht es um mehr als politische Hysterie und flotte Scheinlösungen. In der Bereitschaft, ernsthaft über eine einheitliche Schulkleidung zu diskutieren, spiegelt sich vielmehr die Verunsicherung von Eltern und Politikern nach dem Neuköllner Rütli- Schock, nach immer neuen Berichten über Disziplinlosigkeit, Gewalt und dem Autoritätsverfall von Lehrern.

Es sind diese Fehlentwicklungen, die Versäumnisse von gestern, die manches infrage stellen, was jahrelang tabuisiert war. Die Schule in Deutschland ist in Not. Und die Not ist so groß, dass sie dem desaströsen Abschneiden bei der Pisa-Erhebung mindestens gleichgewichtig ist. Dort die fehlenden Kenntnisse, hier das bröckelnde Wertefundament. So spürbar die neue Ernsthaftigkeit ist, sich mit dem Thema zu beschäftigen, so bemerkenswert die gewandelten Erwartungen an eine einheitliche Schulkleidung. Am Anfang der Diskussion, intensiv geführt vom Tagesspiegel, der vor drei Jahren ein Modellprojekt initiierte, stand vor allem das Ziel, sozialen Unterschieden beizukommen, erkennbar an teurer Markenkleidung, und den sozialen Druck auf ärmere Schüler zu mindern. Die Erfahrung von Pädagogen ist freilich, dass Schüler auch bei einer einheitlichen Kleidung sich unterscheiden können durch teure Handys oder andere Wohlstandsattribute. In Berlin scheint diese Debatte aber fast ein Luxusproblem zu sein. Kann Schulkleidung einen Beitrag leisten zur Integration, zur Identifikation von Schülern mit ihrer Schule, zum Abbau von Gewalt und Aggression – so lautet heute die Frage.

In Berliner Problemkiezen kämpfen selbst Gymnasien darum, dass die Minderheit der deutschstämmigen Schüler nicht auch noch abgemeldet wird; ein deutscher Schüler einer Schöneberger Hauptschule wird bedroht und verprügelt und bekommt Polizeischutz. Deutschstämmige Schüler fühlen sich als Opfer ihrer gewaltbereiten arabisch- oder türkischstämmigen Mitschüler; an Schulen mit einer dominierenden Mehrheit von Kindern aus Migrantenfamilien passen sich deutsche Jugendliche an und sprechen Türkenslang , um nicht aufzufallen.

Schule geht kaputt. Ist es naiv, zu glauben, dass Schüler durch einheitliche Kleidung Stolz entwickeln können für ihre Schule und sich mit ihr identifizieren, sich als Gruppe erfahren, die gemeinsam verantwortlich ist für ein positives Bild ihrer Schule? Der Versuch lohnt, nicht als Lösung, sondern als kleiner Beitrag dazu. Für die Freiheit, auch in Neukölln ohne Angst zur Schule zu gehen, für die Gleichheit auch der deutschen Schüler. Das wäre eine Einheitlichkeit durchaus wert.

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