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Globalisierung: Von Gerechtigkeit und Vertrauen

Nach dem Bundespräsidenten spricht der Bundestagspräsident über Globalisierung und Moral.

Von Robert Birnbaum

Es ist wirklich Zufall, aber die Terminfolge ist so auffällig, dass der Veranstalter selbst sie erwähnt: Am Dienstag hat der erste Mann im Staat über die Folgen der Globalisierung für Deutschland geredet, tags drauf spricht der zweite Mann im Staate über Wirtschaft und Moral. Nun ist Norbert Lammert (CDU) viel zu gewieft, als dass er sich in Konkurrenz zu Horst Köhler setzen ließe. Und doch bilden die „Hinweise“, die der Bundestagspräsident auf Einladung einer Frankfurter Anwaltskanzlei mit angeschlossenem Europa-Institut gibt, eine Art Koreferat zu Köhlers Rede.

Lammerts Thema ist der rapide Vertrauensverlust in Marktwirtschaft und Demokratie in den letzten Jahren. Die Umfragedaten sind da ziemlich eindeutig, Lammert zählt sie alle auf: Präzise im 60. Jahr der sozialen Marktwirtschaft hält zum ersten Mal nur noch eine Minderheit der Deutschen diese Ordnung für die beste aller denkbaren. 73 Prozent finden die Verteilung von Einkommen und Vermögen ungerecht – vor einem Jahr waren es noch 56 Prozent. Selbst unter FDP-Anhängern liege die Zahl bei gut zwei Dritteln, von den Wählern der anderen Parteien im Bundestag zu schweigen. „Das ist, in Klammern gesprochen, virtuell eine verfassungsändernde Mehrheit“, merkt Lammert trocken an.

Ein Umstand, der dem Parlamentspräsidenten Lammert Sorgen bereitet. Einerseits misstraut er als Christdemokrat allen Rufen, die auf Gleichheit als oberstes Ziel abheben. „Ungleichheit ist einer der größten Vorzüge der Schöpfung“ – ohne Ungleichheit und ihre anspornende Wirkung, vermutet er, wäre es mit der Entwicklung der Menschheit nie vorangegangen. Auch könnten die meisten Menschen mit der Ungleichheit untereinander ganz gut leben. Andererseits: Wenn Vorstandschefs nicht mehr nur das 25-fache ihrer Mitarbeiter verdienten, sondern das 300-fache, dann könne er das „selbst als leidenschaftlicher Anhänger von Ungleichheit“ nicht mehr nachvollziehen. Dass alle Parteien es jahrelang „verpennt“ hätten, echte Mitarbeiterbeteiligung einzuführen – unverständlich. Lammert schüttelt den Kopf.

Er weiß aber auch, dass Einzelmaßnahmen den Kern nicht treffen. Dafür macht er sich – auch dank des Nebenjobs als Honorarprofessor der Sozialwissenschaften in Bochum – zu wenig Illusionen über die Größe des Problems. Die Erfahrung, „dass weder Arbeit Wachstum schafft noch Wachstum sicher Arbeit“, werde zur Bedrohung für die Demokratie. Vertrauen in Demokratie und Wirtschaftsordnung hätten die Menschen so lange, wie sie fänden, „dass es im Großen und Ganzen gerecht zugeht“. Schwinde diese Gefühl, „können wir die Eieruhr stellen“.

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