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Politik: Gnädige Therapeuten Von Robert Birnbaum

Was unterscheidet den CDU-Vorstand vom Patienten auf der Couch des Doktor Sigmund Freud? Der Patient hat wenigstens den Doktor.

Was unterscheidet den CDU-Vorstand vom Patienten auf der Couch des Doktor Sigmund Freud? Der Patient hat wenigstens den Doktor. Die CDU-Spitze aber liegt diesen Montag bei sich selbst auf dem Sofa, um herauszufinden, wie es denn bloß zu dem blamablen Wahlergebnis vom 18. September kommen konnte. Man ahnt schon, wie die Diagnose ausfallen wird: Der Patient wird mit sich selbst doch eher schonend und betont verständnisvoll umgehen.

Das ist so bedauerlich wie logisch. Wer nach Ursachen für miese Wahlergebnisse fragt, fragt nach Schuld; wer nach Schuldigen sucht, stellt Machtfragen. Das ist so lange kein Problem, wie ein Wahlverlierer zum Sündenbock erklärt und in die Wüste geschickt werden kann. Doch es wird schwierig, wenn die Kandidatin heute trotzdem Kanzlerin ist, ihr Wahlkampfmanager Fraktionschef und auch alle anderen denkbar Mitschuldigen in Amt und Würden – und alle miteinander gute Noten für ihre ersten Auftritte im Amt bekommen haben. Jeder Versuch eines Parteifreunds, Verantwortung an Einzelnen festzumachen, muss als Nestbeschmutzung erscheinen, als eigensüchtig motivierte obendrein. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass Angela Merkel vor dieser ehrlichen und offenen Wahlanalyse keine Sorge haben muss. Sie profitiert vom Kanzlerinnenbonus, in der Öffentlichkeit und in der Partei auch.

Aber haben die 34,2 Prozent vom 18. September denn wirklich nichts mit Personen zu tun? Natürlich haben sie das. Es gab die Trotteleien und Zaudrigkeiten eines Edmund Stoiber. Es gab die krasse Fehlbesetzung Paul Kirchhof, ein honoriger Mann, der aber politisch bestenfalls als naiv zu bezeichnen ist. Es gab Gerhard Schröder, der diese Schwachstelle sah und gnadenlos nutzte. Und es gab die Kandidatin Merkel, der es eben nicht gelungen ist, genug Vertrauen für eine klare politische Entscheidung zu wecken.

Dass es tatsächlich eine Vertrauensfrage war, darauf gibt es Hinweise. Einer ist das Ausmaß und die Geschwindigkeit, in dem es der SPD gelang, Merkel hinter dem zum Vampir verzerrten Kirchhof verschwinden zu lassen. Den zweiten Tipp liefert die Demoskopie. Wenn die nicht völlig versagt hat, sondern im Gegenteil die Stimmung im Wahlvolk präziser erfasst hat als es die Wahlkämpfer der Union hören wollten, dann sind viele Bürger bis zuletzt sehr unsicher gewesen, ob sie den Wechsel wagen sollen. In der Wahlkabine haben sie sich dagegen entschieden. Und dies war kein Massen-Black-out. Alle Umfragen seither zeigen keinerlei Reue. Die Wähler würden wieder so wählen. Sie sind auch im Nachhinein einverstanden mit sich selbst – die Tatsache, dass Angela Merkel in der Rangliste der beliebtesten Politiker ganz nach oben aufgestiegen ist, ändert daran nichts.

Das ist für die CDU ein beunruhigender Befund – übrigens genau so für die SPD, deren Wahlergebnis ja nicht weniger katastrophal ist. Der Verdacht drängt sich nämlich auf, dass es keine simple Therapie gibt. Das wäre anders, ließe sich das schlechte Abschneiden als Summe aus vielen kleinen Gründen erklären nach dem Motto: Mit ein bisschen weniger konkreten Zumutungen im Programm, dafür etwas mehr sozialer Wärme im Ton und äußerstenfalls einem anderen, netteren, nicht-Ossi-nicht- Frau-Kandidaten hätten wir’s geschafft.

Aber die CDU sollte besser mit der Möglichkeit rechnen, dass es so einfach nicht ist. Die Verunsicherung bei den Wählern liegt tiefer, sie ist auch paradoxer. Die Leute haben den Wunderglauben an sichere Renten und ewig steigenden Wohlstand gründlich abgelegt. Sie wissen im Prinzip auch um die Notwendigkeit, vieles zu verändern. Und sie haben doch zugleich Angst davor, die Folgen eines Reformkurses tragen zu müssen, ohne sicher zu sein, dass der tatsächlich erfolgreich ist. Eine Vertrauensfrage eben. Die CDU, die CSU, die Kanzlerkandidatin Merkel hätten sie fast verloren. Aber eben nur fast. Sie haben eine zweite Chance bekommen, sie doch noch zu gewinnen.

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