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Nach den Verhandlungen zurück in Athen: Der griechische Premier Alexis Tsipras auf dem Weg in sein Büro.

© LOUISA GOULIAMAKI/AFP

Griechenland: Der Marathon ist noch nicht vorbei

In Berlin wird auf die Griechen geschimpft, in Athen stöhnt man unter dem vermeintlichen deutschen Spardiktat. Dabei müsste es um etwas anderes gehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Wenn die Griechenland-Rettung ein Marathonlauf ist, wo stehen wir dann gerade? Schon bei Kilometer 40? Oder doch erst bei Kilometer 20? Niemand weiß es, auch nicht nach der letzten Brüsseler Gipfelnacht. Europa hat mit dem Beschluss, dass demnächst Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket für Athen mit einem Volumen von bis zu 86 Milliarden Euro begonnen werden sollen, wieder einmal eine Etappe zurückgelegt, mehr nicht.
Wer das Brüsseler Verhandlungsergebnis bewerten will, muss sich zunächst einmal in die Lage der Menschen in Griechenland hineinversetzen – eine Bevölkerung, die politisch und sozial tief gespalten ist und der obendrein ein weiterer Exodus droht. Für die Ärmsten unter den Griechen hat die Einigung von Brüssel das unmittelbare Ergebnis, dass sie sich auf weitere Einbußen einstellen müssen – in der Form von Mehrwertsteuererhöhungen.

Merkel hat in ihrer harten Verhandlungsführung überzogen

Sieht man die Dinge von der Berliner Warte aus, dann erscheint es wiederum völlig richtig, dass der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras jetzt erst einmal etwas vorweisen muss, bevor an weitere Hilfen überhaupt zu denken ist. Wie sonst sollten die Abgeordneten, die demnächst im Bundestag den Beginn der neuen Milliarden-Verhandlungen beschließen sollen, sich vor den Wählern rechtfertigen? Schließlich reagiert die Öffentlichkeit in Deutschland – aber auch anderswo in der Euro-Zone – inzwischen allergisch darauf, dass Reformen in Athen immer wieder angekündigt, aber nur selten umgesetzt werden. Allerdings muss sich Kanzlerin Angela Merkel auch vorwerfen lassen, auf den letzten Metern vor der Einigung in Brüssel zu viel Rücksicht auf den Bundestag genommen zu haben. Sie hat in ihrer harten Verhandlungsführung gegenüber Tsipras überzogen. Musste sie unbedingt dem griechischen Premier einen Privatisierungsfonds aufzwingen, der wohl kaum die gewünschten Milliardenerlöse erzielen dürfte? Es sind die unterschiedlichen Perspektiven, aus denen die Defizite der Rettungspolitik in Athen und Berlin betrachtet werden, die das ganze Problem der Europapolitik im Falle Griechenlands verdeutlichen: In Hellas klagen viele Menschen, dass sie keine weiteren Kürzungen mehr hinnehmen können. In Deutschland wird hingegen mit Empörung registriert, dass die Griechen im Gegenzug zu den bereits erhaltenen Hilfsmilliarden nichts liefern – keine Reform eines zur familiären Grundsicherung umfunktionierten Rentensystems, keine Entlastung des Mittelstands vom Bürokratie-Wust, keinen echten Wettbewerb auf dem Energiemarkt – um nur einige Beispiele herauszugreifen.

Tsipras hat keinen Mitleids-Bonus verdient

Wer weiter an die Reformfähigkeit des Landes glaubt, kann die bevorstehenden Verhandlungen um ein groß angelegtes weiteres Rettungspaket mit den entsprechenden weitreichenden Auflagen als den letzten Versuch werten, in Griechenland nun nach fünfeinhalb Jahren tatsächlich mit dem Aufbau eines modernen Staates zu beginnen. Tsipras hat dafür in Brüssel den Preis bezahlt, sein Land mehr denn je der Kontrolle der Gläubiger preiszugeben. Aber dies sollte ihm auch nicht den Märtyrer-Bonus verschaffen. Merkel oder Tsipras – dieser Gipfel hatte trotz gegenteiligen Anscheins keine echten Gewinner. Am Ende kann es bei diesem Rettungsmarathon nur darum gehen, dass alle, Deutsche und Griechen, gemeinsam durchs Ziel gehen.

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