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541 Abgeordnete stimmten mit Ja, 32 mit Nein - davon 29 aus den reihen der Union - und 13 enthielten sich

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Griechenland-Hilfen: Billigung mit Bauchschmerzen

Es war ein zähes Ringen in Brüssel. Nun beschloss der Bundestag in Berlin mit großer Mehrheit eine Verlängerung des Hilfspakets für Griechenland – doch der Unmut wächst.

Von Robert Birnbaum

Klaus-Peter Willsch hält anklagend sein Smartphone in die Luft. Hat er’s nicht gesagt, dass es keinen Sinn hat mit diesen Griechen? Willsch steht am Rednerpult des Bundestages. Der CDU-Abgeordnete ist ein Euro-Rettungsgegner der ersten Stunde, und was er da gerade auf einer Internet-Nachrichtenseite gelesen hat, das kommt ihm gerade recht. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis – Willsch liest es vom Display ab – hat soeben im Fernsehen verkündet, dass die Schulden-Abmachung mit den Euro-Kollegen absichtlich unscharf formuliert worden sei, eine „produktive Ungenauigkeit“, damit die Parlamente zustimmten.

Die Kritiker lassen sich nicht mehr ignorieren

Und solchen Leuten soll man den Kredit verlängern? „Würden Sie von denen einen Gebrauchtwagen kaufen?“ ruft Willsch. Aus der Union kommt Applaus. Aus der Linkspartei kommen wütende Zwischenrufe. Vor gut zwei Jahren hat der Bundestag zum letzten Mal ein Griechen-Rettungspaket verabschiedet. Doch die Fronten haben sich seither beträchtlich verschoben. Schon dass Willsch klaglos auf die Rednerliste darf, zeigt eine dieser Verschiebungen an. Der dissidente Hesse wird von seiner Fraktionsspitze sonst nach Kräften geschnitten. Aber in der Union ist der Unmut massiv, da lassen sich Kritiker nicht mehr schlicht ignorieren. Wolfgang Schäuble weiß schon, weshalb er gleich zweimal das Parlament „bittet“, der Verlängerung des Griechen-Hilfsprogramms zuzustimmen.

Viele Kollegen aus der Fraktion hätten ihm ihre Gewissensnöte geschildert, sagt Schäuble, und dass er das gut verstehe: „Es ist so viel Vertrauen zerstört worden, dass ich davor Respekt habe.“ Und trotzdem: „Wir Deutschen sollten alles daran tun, dass wir Europa zusammenhalten, wieder und wieder, und zusammenführen.“ Sicher, die neue Regierung in Athen habe es den anderen nicht leicht gemacht. Aber schließlich sei man ja doch gemeinsam auf den richtigen Weg gekommen. Und außerdem: Es geht nicht um neues Geld, es geht um Verlängerung des laufenden Programms. Und es geht nicht um neue Bedingungen, sondern um die alten: Was Griechenland vorige Woche in der Eurogruppe unterschrieben habe, sei die Fortsetzung des Programms „ohne jede Veränderung“.

Schwenk der Linken

Auch Schäuble erntet wütende Zwischenrufe von der Linken. Die Linksfraktion hat bisher jedes einzelne Euro-Rettungspaket abgelehnt. Diesem will die Mehrheit zustimmen, das hat am Morgen eine Sonder-Fraktionssitzung ergeben. Der Abgeordnete Michael Schlecht bringt das Dilemma später in einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung schnörkellos auf den Punkt: „Meine Zustimmung ist keine Zustimmung zu Merkel und Schäuble“, versichert der Hamburger. Aber Syriza-Chef Alexis Tsipras müsse eine Chance bekommen.
Sein Fraktionschef Gregor Gysi schnörkelt dafür um so mehr. Von einem „Zeitgeist“ redet er, der sich geändert habe, vom Ende der „Troika-Diktatur“ und davon, dass Schäuble am Ende gar nichts anderes übrig geblieben sei, als einen Kompromiss einzugehen. Je länger Gysi redet, um so herkuleshafter erscheint die neue Führung in Athen: „Sie hat sofort die ganze Europäische Union durcheinander gebracht – da sehnse mal, was eine linke Regierung alles kann!“ Nur von einem redet der Linke nicht. Das reibt ihm dafür dann der SPD-Finanzexperte Carsten Schneider noch mal unter die Nase: „Worüber Sie gerade abstimmen, das ist exakt das gleiche wie im Dezember!“ Vor knapp drei Monaten wäre das zweite Griechen-Hilfspaket eigentlich ausgelaufen. Damals debattierte der Bundestag über einen Aufschub bis Ende Februar. Damals hatte der Linke Dietmar Bartsch sich zu dem Satz hinreißen lassen: „Dass wir dabei mitmachen, das werden Sie nie erleben!“

Sag niemals nie

Man soll in der Politik eben niemals nie sagen. Schneider zitiert den Satz mit gewissem Bedauern, denn er möge den Linken-Realo Bartsch ja eigentlich. Schneiders Parteifreund Johannes Kahrs zitiert ihn später noch einmal und ohne Erbarmen: „Theaterdonner“ sei das, was die Linke hier aufführe, ja sogar eine Lüge: „Da fragt man sich doch, was Sie morgens nehmen! Das müssen doch illegale Substanzen sein!“

Dass jetzt mal zur Abwechslung die SPD der Linken mit Prinzipientreue kommen kann, macht Kahrs sichtlich Spaß. Es ist aber auch wirklich ein sehr ungewohnter Anblick, hinterher bei der Abstimmung neben einer der Urnen die Linken-Chefin Katja Kipping auf Blau machen zu sehen. Blau ist die Stimmkarte für „Ja“, und Kipping hält sie hoch für den Fall, dass einer ihrer Fraktionsfreunde das vergessen haben könnte. Am Ende sagen drei Linke Nein, zehn enthalten sich. Bei der Union aber sind es zum Schluss 29 Nein-Stimmen, mehr noch als bei der Probeabstimmung in der Fraktion. „So, das war das letzte Mal“, sagt hinterher einer der Wichtigeren in der CDU. Er hat Bedenken, aber er hat diesmal noch mit „blau“ votiert.

Das nächste Hilfspaket spaltet

Das letzte Mal? Aber haben nicht die Sozialdemokraten am Rednerpult – unter unwilligem Gemurre aus der Union – schon vom dritten Griechenlandpaket im Sommer gesprochen, dann mit neuen Zusagen, neuem Geld, neu verhandelten Auflagen? Hatte nicht Kahrs sogar behauptet, wer jetzt Ja sage, der sei „in der Pflicht, dem dritten Programm zuzustimmen, wenn die Griechen ihre Hausaufgaben erledigt haben?“ Schon richtig, sagt der CDU-Mann, nur, wer glaube denn an diese Griechen? An diese Varoufakisse, die in Brüssel so redeten und in Athen anders und so gar nicht wie brave Schüler? „Das Ding wird jetzt innerhalb von drei Monaten kaputt gehen, und das war’s.“

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