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Nicht doch. Referendum ja, Referendum nein – Giorgos Papandreou wollte sein Volk über die Euro-Rettung abstimmen lassen, dann doch nicht. Nun geht es um seine Zukunft.

© dpa

Griechenland vor der Vertrauensfrage: Volk ohne Herrschaft

Für wählbar halten die Griechen keinen ihrer Politiker mehr. Ihr Land befindet sich längst in einer Systemkrise.

Im griechischen Parlament lief noch die Debatte um die Vertrauensfrage, die Premierminister Giorgos Papandreou gestellt hatte, da fällte Philippos Pilos bereits sein Urteil über die Politiker: „Sie sollten alle abhauen, die ganze Bande!“, sagt der Händler, während er auf dem Wochenmarkt im Athener Vorort Glyfada ein Kilo Zitronen abwiegt. Die Kundin, eine Hausfrau in den Mittvierzigern, nickt zustimmend: „Ein nutzloses Gesindel, diese Abgeordneten – sie leben wie die Parasiten auf unsere Kosten!“

Es sind harte Worte, die man in diesen Wochen in Griechenland hört. Enttäuschung und Verbitterung sprechen aus ihnen. Seit nun zwei Jahren bedrückt die Schuldenkrise das Land und seine Menschen, und ein Ende des Dramas ist nicht in Sicht. Die Menschen haben nicht den Eindruck, dass alle Entbehrungen, die man ihnen abverlangt, sich lohnen; der Schuldenberg wächst. Rettungskredite von 65 Milliarden Euro haben die Euro-Partner und der Internationale Währungsfonds bereits nach Athen überwiesen. Aber die Hilfe bringt nichts. Griechenland steht näher denn je am Staatsbankrott. Nicht nur 350 000 Arbeitsplätze sind seit dem Beginn der Krise vernichtet worden, das Land hat auch seine Souveränität verloren: „Was unsere Politiker beschließen, ist doch inzwischen völlig gleichgültig“, sagt der Markthändler Philippos, „über unser Schicksal entscheiden andere.“

Von einer „Schicksalsnacht“ schrieben manche Zeitungen vor der Vertrauensabstimmung, die um Mitternacht griechischer Zeit stattfinden sollte. Aber die Griechen haben nicht mehr das Gefühl, ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen zu können. Und als seien Schuldendrama und Rezession nicht schon schlimm genug, verstricken sich die Politiker jetzt auch noch in erbitterte Machtkämpfe. Kopfschüttelnd sehen die meisten Griechen erst dem völlig überraschenden Vorstoß des Premiers Giorgos Papandreou zu, seine Landsleute in einer Volksabstimmung über Annahme oder Ablehnung des erst vergangene Woche geschnürten neuen Rettungspakets entscheiden zu lassen. Papandreou begründete dies mit den „demokratischen Traditionen Griechenlands“. Dann dem ebenso überraschenden Rückzieher, nachdem die Idee des Referendums nicht nur in der eigenen Partei, sondern auch bei den europäischen Partnern heftige Kritik auslöste. Die drohten Papandreou mit der Einstellung der Hilfszahlungen, selbst ein Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion und der EU schien nicht mehr tabu.

Die Drohung wirkte. Am Donnerstag sah es so aus, als sei ein heilsamer Schock durch die politische Klasse Griechenlands gegangen. Oppositionsführer Antonis Samaras und Premier Papandreou deuteten die Möglichkeit einer von beiden großen Parteien getragenen Regierung an. Erstmals ließ Samaras die Bereitschaft erkennen, dem bisher von ihm heftig bekämpften Rettungspaket zuzustimmen. Der politische Konsens, auf den die Griechen und ihre europäischen Partner so lange vergeblich gewartet hatten, schien endlich in Reichweite. Doch nach wenigen Stunden brachen die Gräben wieder auf. Im Parlament lieferten sich Samaras und Papandreou am Donnerstagabend unversöhnliche Rededuelle, Regierungs- und Oppositionspolitiker bezichtigten sich gegenseitig der Lüge und der Täuschung.

Während Papandreou noch in Einzelgesprächen mit wankelmütigen Abgeordneten eine Mehrheit für die entscheidende Abstimmung zu sichern versuchte, wurde bereits immer deutlicher: Seine Zeit läuft ab. Griechenland steuert auf Neuwahlen zu – vielleicht im Frühjahr, vielleicht auch schon in einigen Wochen. Sehr viele Griechen werden an der Urne wohl lange überlegen, wo sie ihr Kreuz machen sollen. Denn aus der Schuldenkrise ist längst eine Krise des politischen Systems geworden. Parteien und Politiker haben das Vertrauen großer Teile der Bevölkerung verspielt. Nach einer Umfrage vom vergangenen Monat sind 92 Prozent der Griechen mit der Regierung unzufrieden – aber 89 Prozent auch mit der konservativen Opposition. Auf die Frage, welche der beiden großen Parteien besser qualifiziert sei, das Land zu regieren, antworten 73 Prozent: „Keine von beiden“.

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