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Bleibt gelassen. Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin steht zu Rot-Grün.

© dpa

Grüne Klausurtagung: Das Hauptthema ist Steinbrück

Witzelei, Hoffnung, Besorgnis: Offiziell reden die Grünen zwar nicht über den SPD-Spitzenkandidaten, doch sein Verhalten und seine Umfragewerte irritieren die Grünen auf ihrer Klausur in Weimar. Vorsichtshalber betonen sie ihre Eigenständigkeit.

Von Sabine Beikler

Wer „Wulff“ oder „FDP“ sagte, musste fünf Euro ins „Schweinderl“ stecken. 200 Euro kamen so zugunsten von Amnesty International zustande. Das war ziemlich genau vor einem Jahr auf der Klausurtagung der Grünen in Weimar, kurz vor dem Rücktritt von Christian Wulff und mitten in einer der zahlreichen FDP-Krisen. Hätten die Grünen bei der internen Aussprache auf ihrer diesjährigen Klausur diese Spielregel für den Namen „Steinbrück“ aufgestellt, wäre viel zusammengekommen.

„Steinbrück nervt“, sagte ein Abgeordneter auf der Tagung in Weimar, die nach zwei Tagen am Freitag zu Ende ging. Am liebsten würde die Partei den SPD-Kanzlerkandidaten zum Tabu erklären. Aber die Grünen hatten intern großen Redebedarf. Wie soll man damit umgehen als Partei, die auf Bundesebene zu Rot-Grün steht, die in acht Tagen mit den Sozialdemokraten in Niedersachsen eine Koalition eingehen will? „Wir können ja schlecht der SPD den Jürgen ausleihen“, stichelt der Parteilinke und Verkehrsausschussvorsitzende Toni Hofreiter. Der grüne Spitzenkandidat Jürgen Trittin windet sich bei der Suche nach einer ernsten Erklärung. Auf die Frage, worauf er Steinbrücks Absturz in den Umfragen zurückführe, antwortet er: „auf den Jahreswechsel“, und grinst breit. Politische Machtverhältnisse würden nicht über die Wahl von Personen entschieden, sondern über die Wahl von Parteien. Ob ihr ein anderer Kanzlerkandidat lieber wäre, beantwortet die Fraktionsvorsitzende Renate Künast schlagfertig mit den Worten: „Mir fällt momentan keiner ein, der mir lieber wäre.“

Die Grünen stecken in einem Dilemma. Es spricht zwar niemand mehr von einem rot-grünen Projekt wie in den 90er Jahren. Dennoch hat sich die Partei auf Rot-Grün als Machtoption fokussiert. Nur mehren sich angesichts der schlechter werdenden Umfragewerte für die SPD und ihren Kandidaten wieder die Stimmen bei den Grünen, die vor einer „babylonischen Gefangenschaft“ mit der SPD warnen. Es gebe „in der Enquetekommission innerhalb der Oppositionsfraktionen große Übereinstimmungen über ein sozial-ökologisches Reformprojekt“, sagte zum Beispiel der Parteilinke Hermann Ott dem Tagesspiegel.

Rot-Rot-Grün ist bei den Grünen zwar nicht mehrheitsfähig. Aber die Bauchschmerzen mit Steinbrück und der SPD werden bei den Parteilinken offensichtlich größer. „Ich habe sehr große Schwierigkeiten mit Steinbrück“, sagte der Berliner Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele dem Tagesspiegel. Wie könne ausgerechnet der SPD-Kanzlerkandidat sozialdemokratische Forderungen nach einem Mindestlohn, einer Vermögensteuer oder der Bankenkontrolle glaubwürdig vertreten.

In die internen Probleme der SPD mischen sich die Grünen offiziell nicht ein. „Klappe halten und durch“, sagen sie. Diplomatisch äußerte sich die Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt: „Einerseits beschäftigt uns das, andererseits können wir es gemeinsam mit der SPD schaffen.“ Dennoch erwarten nicht nur Spitzenleute der Grünen hinter vorgehaltener Hand, dass sich in der SPD in den nächsten Wochen „etwas tut“. Sollte die Niedersachsen-Wahl ein Fiasko für Rot-Grün werden, haben die meisten Grünen den Verantwortlichen dafür schon jetzt ausgemacht: Steinbrück. Offiziell sagt das natürlich keiner. Stattdessen lobt Spitzenkandidat Trittin, dass das „Lager gegen Schwarz-Gelb“ in Niedersachsen „super mobilisiert“ sei.

Die aktuelle Diskussion um Steinbrück kommt den Grünen in zwei Punkten sogar entgegen. Je schlechter die Umfragewerte für die SPD und ihren Kandidaten sind, umso mehr könnten die Grünen von einem Stimmenzuwachs unter Rot- Grün-Wählern profitieren.

Und die Causa Steinbrück lässt auch eine andere Debatte nicht eruptiv hochkommen: die Grünen und Schwarz-Grün. „Wir wollen Rot-Grün. Was ist, wenn es für Rot-Grün nicht reicht, wird dann beantwortet“, sagt der Berliner Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland. Trittin lehnt eine Koalition mit der Union weiterhin ab. Und sagt: „Wer sich in einem Wahlkampf mit Gedanken beschäftigt, was passiert, wenn man nicht kriegt, was man will, der kriegt das garantiert nicht, was er will.“ Göring-Eckardt, auf der die Hoffnung auf Stimmenzuwachs von Wählern aus der bürgerlichen Mitte ruht, sagt entschieden: „Schwarz-Grün ist kein Thema. Es geht um unsere Eigenständigkeit.“

Diese betonen die Grünen so sehr in ihrer am Freitag verabschiedeten Weimarer Erklärung, dass auf den sieben Seiten kaum einmal von Rot-Grün die Rede ist. Die Sozialdemokraten sind in der vorletzten Zeile nur in diesem Satz erwähnt: „Wir wollen mit starken Grünen gemeinsam mit der SPD Schwarz-Gelb ablösen: Erst in Niedersachsen, in Bayern, dann im Bund und in Hessen. Die Farbe des Jahres ist grün.“ Die Grünen verabschiedeten zum Teil bekannte Beschlüsse wie die Neuausrichtung des Energiesystems, eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent, die Einführung einer Bürgerversicherung oder das Recht auf ein Girokonto für jeden Bürger.

Vor einem Jahr schnitt Trittin beim „Schweinderl-Spiel“ gut ab. Die FDP nannte er „libertäre Zwergenpartei“, Wulff war für ihn nur der frühere Ministerpräsident aus Hannover. Für Steinbrück brauchte der Grünen-Politiker in diesem Jahr kein Synonym. Offiziell nannte er ihn namentlich an keiner Stelle.

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