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Politik: Grüne sehen schwarz

Die Öko-Partei will neue Optionen für die Regierungsbildung. Doch für ein Bündnis mit der Union reicht es 2013 offenkundig nicht Dabei haben sich CDU und CSU in den Sondierungsgesprächen überraschend kompromissbereit gezeigt.

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Berlin - Cem Özdemir steht im schwarzen Konfirmandenanzug mit blassgrünem Schlips im Reichstag und schlägt sich mit imaginären Türen rum. Der Grünen-Chef wirkt aufrichtig betrübt, und seine Co-Vorsitzende Claudia Roth, zum Anlass passend ganz in Schwarz, blickt auch nicht glücklich drein. Sechs Stunden haben die Grünen jetzt mit CDU und CSU Wege zu einer Koalition sondiert, eineinhalb Stunden lang haben die Grünen-Unterhändler das Treffen bewertet. Dann sind sie noch mal kurz rübergegangen zu den Schwarzen und haben das Ergebnis übermittelt, das dann eine halbe Stunde nach Mitternacht die Generalsekretäre von CDU und CSU öffentlich bekannt geben: Mit Schwarz-Grün wird es erst mal nichts, weil die Grünen nicht wollen.

Das Bedauern ist aber durchaus beidseitig, genauso wie die Überraschung übereinander. Selbst CSU-General Alexander Dobrindt, im Wahlkampf ein lautstarker Grünen-Fresser, attestiert der Öko-Partei, dass sie seither einen „weiten Weg“ gegangen sei: „Wir haben von unserer Seite aus dem Gespräch heute keine Probleme gesehen, die unüberwindbar wären.“

Die Grünen sind ebenfalls des Lobes voll. „Das waren schöne Gespräche“, sagt Roth, und Özdemir hält fest: „Ich glaube, da ist die Tür jetzt offen, und die wird auch so schnell nicht wieder zugehen.“ Für eine Empfehlung an den eigenen Parteitag am Wochenende, sich auf ein schwarz-grünes Experiment einzulassen, hat es den Ober-Grünen trotzdem nicht gereicht. Aber andererseits, sagt Özdemir: „Die Tür ist nicht zugenagelt mit Nägeln, die wir nicht rauskriegen.“

„Es hat Überraschungen gegeben“, kommentiert denn auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt knapp, als sie die Parlamentarische Gesellschaft in der Nacht verlässt. Überraschend war für die Grünen, wie weit die Union ihnen beim Umgang mit Migranten entgegengekommen sei, heißt es: Bei Themen wie der doppelten Staatsbürgerschaft oder dem Umgang mit Asylbewerbern (Residenzpflicht und Arbeitsverbot) habe es Gesprächsbereitschaft gegeben. Unerwartet war, dass auch die CSU sich hier offen zeigte: Parteichef Horst Seehofer eröffnete die zweite Sondierungsrunde am Dienstagnachmittag sogar mit diesem grünen Herzensthema. Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke wirkt auch am Tag danach noch erstaunt, als sie von einer weiteren unerwarteten Allianz berichtet: Bei der Skepsis gegenüber grüner Gentechnik und der Kritik an der Massentierhaltung habe es ein Art Bündnis zwischen den Grünen und der CSU gegeben, berichtet sie.

Bei allen Überraschungen – die Liste der Differenzen, die Lemke aufzählen kann, ist immer noch lang: von der Bürgerversicherung über einen gesetzlichen Mindestlohn bis zur Beschränkung von Rüstungsexporten. Für die Grünen entscheidend war am Ende offenbar, dass sie bei der Energiewende zu wenig Bewegung bei der Union sahen. Die Frage, ob die Stromversorgung nach dem Atomausstieg vor allem aus erneuerbaren oder fossilen Energien bestritten werde, sei für die Ökopartei „essenziell“, sagt Lemke. Dieser Systemkonflikt sei mit der Union nicht lösbar gewesen. Bei diesem Kernthema wollen die Grünen nicht ihre Glaubwürdigkeit riskieren. „Es nutzt nichts, wenn es in einem Jahr Demonstrationen vor dem Kanzleramt gibt“, kommentiert Lemke.

Schwierig wurde es offenbar auch bei der Frage, woher eine schwarz-grüne Koalition das Geld für Investitionen nehmen sollte. Den heiklen Punkt Finanzen hatten sich die Unterhändler in der Nacht zum Mittwoch für zuletzt aufgespart. Zwei Philosophien prallten dabei aufeinander, wie Teilnehmer berichten: Die Union argumentierte, solange es Wachstum gebe, sei genügend Geld vorhanden. Fehlende Mittel für Investitionen in Straßen und Brücken könne man außerdem durch die Ausweitung der Lkw-Maut gewinnen. Die Grünen hingegen wollten erst auflisten, wofür man Geld ausgeben werde (Ganztagsschulen, Kitas, eine bessere Infrastruktur) und dieses Volumen dann gegenfinanzieren.

Der Grünen-Delegation war klar, dass Steuererhöhungen für die Union ein Reizwort sind – gehörte es doch zu den zentralen Wahlkampfversprechen von Angela Merkel, eben nicht an dieser Schraube zu drehen. „Wir haben das böse Wort Vermögensabgabe und Spitzensteuersatz noch nicht mal in den Mund genommen“, berichtet Lemke am Tag danach. Stattdessen brachten die Grünen den Vorschlag ein, ökologisch schädliche Subventionen abzubauen, etwa die Steuervorteile für bestimmte Dienstwagen. Die Union habe darauf ablehnend reagiert, heißt es. Jürgen Trittin, Spitzenkandidat der Grünen, sorgte offenbar noch einmal für Stirnrunzeln bei Unionspolitikern, als er vorrechnete, dass es bei den gemeinsam gewünschten Investitionen eine Finanzierungslücke gebe, die sich auf 28 Milliarden Euro summiere.

Dass die Gespräche besser gelaufen sind als erwartet, stimmt die Grünen dennoch zuversichtlich. Auf dem Parteitag wollen sie auch beschließen, sich künftig stärker sowohl für Schwarz-Grün als auch für Rot-Rot-Grün zu öffnen. Lemke ermahnt ihre Partei: „Solche Optionen müssen erarbeitet werden.“

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