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Grüne

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Grüne: Willkommen in der Realotät

"Sicher war der Parteitag eine Rebellion": Von einer Wende in der Außenpolitik will die Spitze der Grünen trotzdem nichts wissen. Die Linken planen derweil ihr nächstes Projekt.

Von Hans Monath

Auch für einen geschlagenen Grünen-Parteichef gibt es einen Punkt, an dem gute Miene zum bösen Spiel in Würdelosigkeit umschlagen würde. Reinhard Bütikofer kennt ihn. Fast eine Dreiviertelstunde hat er am Montag vor der Presse in der Grünen-Zentrale in Berlin den Parteitag von Göttingen schön geredet. Doch plötzlich ist da die Frage, ob er bitte einmal die Gründe gegen den Tornado-Einsatz aufzählen könne. Immerhin steht er ja an der Spitze einer Partei, die diese gerade verdammt hat. Da erst spitzt der bis dahin maßlos geduldige Bütikofer unwillig die Lippen und verweigert die Antwort: „Das kann ich nicht ernst nehmen.“ Sich selbst vor laufenden Kameras zu demütigen, dass ginge dem Befürworter deutscher Aufklärungsflüge in Afghanistan denn offenbar doch zu weit.

Im Presseraum der Grünen drängen sich an diesem Mittag die Journalisten wie lange nicht mehr. Der TV-Ereigniskanal „Phoenix“ hat sogar einen Live-Kommentator zur Pressekonferenz geschickt. Seit die Grünen vor zwei Jahren abgewählt wurden, haben sie nicht mehr so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Beäugt wird allerdings kein Aufbruch, sondern eine politische Trümmerlandschaft. Denn der Sonderparteitag von Göttingen hat am Sonnabend die gesamte Parteiführung wie politische Deppen aussehen lassen. Und auch die über Jahre bewährte Machtteilung zwischen den Parteiflügeln ist an diesem Wochenende aufgekündigt worden. Nirgendwo ist eine Grünen-Autorität in Sicht, die wieder Gemeinsamkeiten erzwingen könnte.

Bütikofer gibt sich trotzdem alle Mühen, die Parteiflügel wieder zusammenzuführen. Deren Protagonisten haben sich nach dem Sensationsergebnis gegenseitig mit Schuldzuweisungen für das Desaster überboten. Der Parteichef kommt von den Beratungen des Parteirats, eines wichtigen Beratungsgremiums bei den Grünen. Zwei Stunden haben sich Realos und Linke dort wieder unverblümt die Meinung gesagt. Sogar die Frage, ob man nicht eine andere, schlankere Führungsstruktur benötige, kam auf den Tisch.

Zwar streitet Bütikofer vor der Presse vehement ab, dass in Göttingen ein außenpolitischer Richtungswechsel eingeleitet wurde. Dem Realpolitiker Bütikofer aber muss die aufgeheizte, teils aggressive und offen antiamerikanische Stimmung der Delegierten in der alten Lokhalle schwer auf den Magen geschlagen sein. „Sicher war es eine Rebellion, was war es denn sonst? Das war doch kein Fünf-Uhr-Tee“, sagt Bütikofer. Mit Buhrufen war in Göttingen etwa der Realpolitiker Ralf Füchs niedergemacht worden, der darauf hingewiesen hatte, dass der Afghanistan-Krieg seinen Ursprung in den Attacken auf die USA vom 11. September 2001 hat.

Wie ein Ertrinkender an den Rettungsring klammert sich Bütikofer an die Passagen des Göttinger Beschlusses, die sich formal zum Einsatz der Internationalen Stabilisierungstruppe in Afghanistan (Isaf) bekennen. Freilich waren in Göttingen die Stimmungsausschläge aussagekräftiger als die Spiegelstriche. Daniel Cohn-Bendit, ein Vertrauter von Ex-Außenminister Joschka Fischer deutet die Entscheidung, die Isaf und Tornados die Zustimmung verweigerte, in der „taz“ als „eine Beerdigung von Joschka Fischer" und fügt hinzu: „Wenn die Grünen den Weg der Fundamentalopposition gehen wollen – bitte!“ Auch andere Weggefährten Fischers sehen die Partei um gut 15 Jahre zurückgeworfen.

Die Parteilinke, die den Beschluss gegen die Tornados durchgesetzt hat, will nun die eigenen Abgeordneten auch daran binden. Denn 26 von ihnen haben im Frühjahr für die Aufklärungsflüge gestimmt – und damit die Basis erst auf den Plan gerufen. Das junge Parteiratsmitglied Julia Seeliger, ein Liebling der Basis, kündigt schon mal an, was mit Abgeordneten passiert, die gegen die Mehrheitsmeinung von Göttingen doch für Isaf und Tornados stimmen wollen. „Die werden dann nicht mehr aufgestellt.“

So brutal sagen das nur wenige Parteilinke – schließlich ist ein Abgeordneter laut Grundgesetz nur dem eigenen Gewissen verpflichtet. Die Fraktionsführung empfiehlt den eigenen Parlamentariern, sich am Parteitagsvotum zu orientieren. Wer doch mit Ja stimmen will, soll bitte eine persönliche Erklärung abgeben.

Ob die Geste der Grünen-Basis reicht, ist eine offene Frage. Weniger offen ist die Frage, ob der Richtungswechsel in der Außenpolitik nicht auch einen Linksruck auf anderen Politikfeldern provoziert. Robert Zion aus Gelsenkirchen jedenfalls, der seinen Antrag in Göttingen durchbrachte, kündigte bereits einen Auftritt auf dem nächsten Grünen-Parteitag an: Das Attac-Mitglied will eine radikale Abkehr von der Agenda 2010.

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