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Politik: Grünen-Parteitag in Münster: "Von Fischer hängt die Existenz der Partei nicht ab" - Parteienforscher Richard Stöss zur Zukunft der Grünen (Interview)

Richard Stöss (56) ist Professor für Politische Wissenschaften an der FU Berlin und einer der profiliertesten Parteienforscher in Deutschland.Wo haben die Grünen noch Zukunft?

Richard Stöss (56) ist Professor für Politische Wissenschaften an der FU Berlin und einer der profiliertesten Parteienforscher in Deutschland.

Wo haben die Grünen noch Zukunft?

Ich denke, dass die Grünen in allen für sie bisher relevanten Politikbereichen nach wie vor gute Zukunftaussichten haben, wenn sie in der Lage sind, die veränderten Prioritäten ihrer Anhänger zu erkennen. Ein Beispiel ist die Atomfrage, die noch wichtig ist, aber nicht mehr auf Platz eins der Liste steht.

Es gibt keine neuen grünen Themen?

Ich würde nicht von Themen sprechen, sondern von neuen Prioritäten. Individuelle Entfaltungsmöglichkeiten, Werte, auch Bildung, rücken stark nach vorne. Auch die Fragen der Informationstechnologie. Hier müssen sich die Grünen noch weiter öffnen, aber im Kontext ihres eigenes Themenspektrums. Die Grünen können nicht plötzlich die Partei des Mittelstands werden oder Protagonisten der Technologiepolitik.

Die neue FDP ist selbstbewusst, kann sie die Grünen von Platz drei verdrängen?

Diese Frage kann man nicht vorab mit nein beantworten. Die Chance besteht durchaus. Ich kann aber gegenwärtig keine Anzeichen dafür erkennen. Wichtig für die Grünen wird sein, dass sie zum einen ihre Programmatik neu ordnen und zum anderen selbstbewusster werden. Sie müssen als Regierungspartei, in der sie immer nur Kompromisse machen können, auch Erfolge aus solchen Kompromissen feiern, darauf stolz sein. Sie müssen lernen, nicht so eine Miesepeter-Partei zu sein. Dann denke ich, muss die FDP erstmal sehen, dass sie ein programmatisches Profil bekommt.

Warum wirken die Grünen miesepetrig?

Weil sie als geborene Oppositionspartei unheimlich hohe Ansprüche hatten, um die Welt zu verändern. Wenn sie mit diesen hohen Erwartungen in die Regierungsverantwortung gehen, werden sie zwangsläufig enttäuscht. Die Grünen müssen ihre veränderte Rolle erkennen und mit ihren Anhängern die Ergebnisse von Politik kommunizieren, ja verkaufen. Auch das fällt ihnen schwer, weil sie früher immer für einen offenen Diskurs eingetreten sind und Massenkommunikation eher kritisiert haben.

Das sozialliberale Modell ist wieder denkbar? Gefährdet es die Grünen?

Mitte der Neunziger hat die FDP durch ihren neoliberalen Kurs viele Wähler verloren, gerade das sozialliberale Potenzial. Da bin ich skeptisch, dass durch Betonung von sozialer Programmatik und mehr Demokratie der alte Status wieder hergestellt werden kann. Denn den linksliberalen Flügel in der Partei und in der Wählerschaft gibt es nicht mehr. Die FDP wird lange brauchen, um den Grünen ihre Kompetenzen zu nehmen.

Sind die Grünen ohne einen Joschka Fischer als Leitfigur denkbar und wählbar?

Absolut. Er ist wichtig, aber trotz Joschka Fischer haben die Grünen bei Wahlen auch Federn lassen müssen. Die Grünen-Wähler sind in ihrem Kern sehr rational. Von Fischer hängt die Existenz der Partei nicht ab.

Wo haben die Grünen noch Zukunft?

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