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Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt die Klage der Grünen.

© Uwe Anspach/dpa

Bundesverfassungsgericht: Grüne verlangen umfassende Auskünfte von der Regierung

Die Regierenden müssen dem Bundestag Rede und Antwort stehen. In wichtigen Fragen aber fühlen sich die Grünen mit Ausflüchten und Allgemeinplätzen abgespeist. Vor Gericht streiten sie nun um Einblick.

Das Bundesverfassungsgericht steht vor einer Grundsatzentscheidung zur Reichweite des parlamentarischen Fragerechts. Seit Dienstag verhandeln die Richter eine Organklage der Grünen-Fraktion, weil die Bundesregierung sie nicht oder nicht ausreichend mit Informationen versorge. Die Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Grenzen des Fragerechts sei eine „Operation nahe am Herzen der Demokratie“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle und mahnte insbesondere zu mehr Transparenz bei privaten Organisationen im staatlichen Einflussbereich wie etwa der Bahn. „Ich werde den Verdacht nicht los, dass sich hier jemand davonschleicht“, sagte er. Es gehe um das Geld der Bürger, das demokratisch legitimiert verwaltet werden müsse. Abgeordnete müssten dies kontrollieren können. Mehrere Richter sprachen von „Störgefühlen“, die sie beim Betrachten der Situation hätten.

Fälle aus dem Jahr 2010

Die Grünen haben Vorgänge aus dem Jahr 2010 vor Gericht gebracht. Damals hatte die Fraktion zu Maßnahmen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) in der Bankenkrise sowie zu Investitionen der Bahn AG, dem Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ sowie Zugverspätungen Fragen an die Bundesregierung formuliert. Die gab nur teilweise Auskunft. Sie verwies auf Geheimhaltungsvorschriften und geschäftliche Interessen der Beteiligten.

Für die Grünen-Abgeordneten Christian Ströbele, Konstantin von Notz und Gerhard Schick, die die Klage in Karlsruhe vertraten, sind die Fälle exemplarisch. Es gebe eine „ausufernde Praxis“ der Geheimhaltung, kritisierte Ströbele. „Die Fronten haben sich verhärtet“, sagte von Notz. Gerade das Handeln der Bahn sei hochpolitisch, ohne dass sie öffentlich Rechenschaft ablegen müsse. „Als Aktiengesellschaft hat sie hier einen Freiraum, der ihr nicht zusteht.“

Zu oft gilt Geheimhaltung

Deutlich wandten sich die Politiker an diesem ersten von zwei Verhandlungstagen gegen die verbreitete Praxis, Unterlagen als Geheimsache einzustufen, ohne dass dies aus ihrer Sicht wirklich notwendig wäre. Denn daraus folge regelmäßig, dass die Akten dann nur noch in der Geheimschutzstelle des Bundestags eingesehen werden dürften. Ihre Erkenntnisse mitteilen dürften die Politiker nicht, sonst machten sie sich strafbar. „So kann man keine Politik machen“, klagte Ströbele. Allerdings gestanden sie zu, dass sich manchmal über die Einstufung verhandeln ließe, etwa wenn Informationen Thema eines Untersuchungsausschusses würden. Insgesamt bleibe es aber bei einer zunehmend restriktiven Praxis. So würden die Abgeordneten mittlerweile auch zum Verfassungsschutz nach Berlin-Treptow, ins Kanzleramt oder auch in den Neubau des Bundesnachrichtendienstes (BND) bestellt, um eingestufte Akten sichten zu können.

Das Ergebnis bleibt für die Politiker in diesen Fällen zwiespältig. Zwar wissen Sie mehr und können besser Zusammenhänge herstellen. Doch in die Öffentlichkeit dürfen sie ihre Erkenntnisse nicht tragen - dorthin, wohin Anliegen in demokratischen Prozessen eigentlich gehören. Ströbele verwies darauf, dass etwa der Fall des Berliner Attentäters Anis Amri extra in das Parlamentarische Kontrollgremium „verlegt“ worden sei, das sonst für die BND-Kontrolle zuständig sei. „Wenn mir da ins Gesicht gelogen wird, kann ich nichts machen.“

Unterschiedliches Verständnis

Die Vertreter der Bundesregierung betonten, wie wichtig ihnen die parlamentarische Kontrolle sei, aber das Fragerecht sei „kein Instrument um seiner selbst willen“, sagte der Staatssekretär aus dem Innenministerium Hans-Georg Engelke. Die Bundesregierung dürfe nicht ihre eigene Arbeit gefährden und müsse auf die Rechte der Unternehmen achten, auch wenn die Bundesrepublik selbst der Eigentümer sei oder dort Einfluss ausübe. Gerade in Situationen wie der Bankenkrise könne es ein Zuviel an öffentlicher Information geben, das die Stabilität der Finanzmärkte gefährde. Michael Meister (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium sprach sogar davon, Abgeordnete müssten durch Geheimhaltung auch ihrerseits „Gefahrenabwehr betreiben“. Er betonte, es gebe zudem einen informellen Austausch zwischen Regierung und Parlament, der den Informationsfluss sicherstelle.

Der Konflikt zeugt vom unterschiedlichen Verständnis, das bei Klägern und der beklagten Exekutive über politische Verantwortung besteht. Die Regierung meint, sie schulde nur Auskünfte aus dem Bereich, in dem sie selbst tätig wird. Am Beispiel Bahn wäre das ihre Einflussnahme als als alleiniger Gesellschafter. Fragen zur operativen Geschäftsführung müssen dagegen nicht beantwortet werden. Den Klägern reicht das nicht, unterstreicht ihr Prozessvertreter Christoph Möllers, Staatsrechtler an der Berliner Humboldt-Universität. Regieren sei mehr als nur verwalten, sagt er. Der Bundestag verhandele öffentlich, entsprechend müssten seine Informationen öffentlich sein.

Urteil erst in einigen Monaten

Ein wichtiges Kriterium für die Gerichtsentscheidung dürfte auch der Zeitablauf sein. So machte der Grünen-Abgeordnete Schick auf die umfassende Aufarbeitung der Bankenkrise in der Schweiz und Großbritannien aufmerksam, sogar mit Originaldokumenten. Nachteilige Folgen für staatliche Interessen habe das nicht gehabt.

Ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet.

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