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Politik: Günter Grass: Ich war in der Waffen-SS

Eingeständnis des Nobelpreisträgers nach 60 Jahren Biograf spricht vom Ende einer moralischen Instanz

Berlin - Literaturnobelpreisträger Günter Grass war im Zweiten Weltkrieg Mitglied der Waffen-SS. In seinem Anfang September im Steidl-Verlag erscheinenden Erinnerungsbuch „Beim Häuten der Zwiebel“ berichtet der 78-jährige Schriftsteller erstmals über seine Einberufung und die Zeit bei der SS-Panzerdivision „Frundsberg“ im damaligen Protektorat Böhmen und Mähren. Mit 17 Jahren wurde er aus dem Reichsarbeitsdienst einberufen. Die Ausbildung nennt er eine „zermürbende Schinderei“ und schildert die erschütternden Kriegserfahrungen, die Gefangenschaft und seine Anfänge als Autor in der Nachkriegszeit. Der dpa gegenüber sagte er am Freitagabend, er habe während seines Einsatzes vom Februar bis zur Verwundung am 20. April 1945 „keinen einzigen Schuss“ abgegeben.

Vor allem schreibt der Autor der „Blechtrommel“ über seine Erinnerungslücken – immer wieder „reißt der Film“ – und seine Scham. „Was ich mit dem dummen Stolz meiner jungen Jahre hingenommen hatte, wollte ich mir nach dem Krieg aus nachwachsender Scham verschweigen. Doch die Last blieb, und niemand konnte sie erleichtern. (...) Selbst wenn mir tätige Mitschuld auszureden war, blieb ein bis heute nicht abgetragener Rest, der allzu geläufig Mitverantwortung genannt wird. Damit zu leben ist für die restlichen Jahre gewiss.“

Auch im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ spricht Grass über seine Schuldgefühle. Sein „Schweigen über all die Jahre“ zähle „zu den Gründen, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Das musste raus, endlich.“

Bisher hatte es in Biografien immer geheißen, Grass sei 1944 als Flakhelfer eingezogen worden und habe als Soldat gedient. Nach einer Verwundung in Cottbus sei er in Marienbad ins Lazarett gekommen und in Bayern in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten. Bei Kriegsende war er siebzehneinhalb Jahre alt.

Seit Jahrzehnten gilt Grass als eine der Säulen der linksintellektuellen Republik. Mit seiner Danziger Trilogie („Die Blechtrommel“, „Katz und Maus“, „Hundejahre“) erwarb er sich nach Anfängen als bildender Künstler schnell den Ruf eines brillanten Stilisten und politischen Moralisten. Seit Mitte der 60er Jahre griff er immer wieder mit offenen Briefen und der Beteiligung an öffentlichen Protestaktionen in die Politik ein. So kritisierte er scharf die Notstandsgesetze, „autoritären Klerikalimus“, die „reaktionäre“ Politik unter CDU-Kanzler Helmut Kohl, aber auch die DDR-Diktatur.

Den Höhepunkt seiner Anerkennung markierte 1999 der Nobelpreis – für seine „munterschwarzen Fabeln“, mit denen er „das vergessene Gesicht der Geschichte gezeichnet“ habe, heißt es in der Begründung. In seiner Dankesrede sagte er unter anderem: „Jedesmal wenn in Deutschland (...) das Ende der Nachkriegszeit ausgerufen worden ist, hat uns die Vergangenheit wieder eingeholt.“

Der Schriftsteller Walter Kempowski sagte dem Tagesspiegel zu Grass’ Enthüllung: „Ein bisschen spät kommt das.“ Allerdings gelte auch für Grass das Bibelwort, wer selbst ohne Sünde sei, „der werfe den ersten Stein.“ Grass-Biograf Michael Jürgs zeigte sich „persönlich enttäuscht“ und sprach vom „Ende einer moralischen Instanz“.

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