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Günter Verheugen: ''Stoiber soll nicht nach unserer Pfeife tanzen''

Industriekommissar Günter Verheugen sprach mit dem Tagesspiegel über Bayerns Ex-Regierungschef, den EU-Papierkrieg und seinen Rückhalt in Berlin.

Herr Verheugen, Sie sind als Vizepräsident der EU-Kommission für den Bürokratieabbau in der Europäischen Union zuständig. Hat es Sie überrascht, als der bayerische Ex-Ministerpräsident Stoiber als Leiter einer Expertengruppe benannt wurde, die den Papierkrieg in der EU verringern soll?

Nein, denn es war ja mein eigener Vorschlag. Beim Bürokratieabbau geht es darum, bis zum Jahr 2012 ein Viertel der Verwaltungskosten zu reduzieren, die auf den Unternehmen lasten. Dazu muss die gesamte europäische, aber auch die nationale Gesetzgebung in den 27 Mitgliedsländern auf den Prüfstand. Anfang des Jahres habe ich den Vorschlag gemacht, dass wir dazu Beratung aus den Mitgliedsländern brauchen. Das Europaparlament hat das aufgegriffen und im Frühjahr eine entsprechende Haushaltsstelle geschaffen. Im Juli habe ich mich dann mit EU-Kommissionspräsident Barroso verständigt, dass wir Edmund Stoiber fragen würden, ob er daran Interesse hat.

Warum wurde gerade Edmund Stoiber als Bürokratie-Bekämpfer ausgewählt?

Wir wollten jemanden haben, dessen Haltung zur EU-Kommission eher kritisch ist. Es sollte nicht jemand sein, von dem man sagt: Der tanzt nach unserer Pfeife. Wir wollten auch eine Person mit großer Erfahrung in der Verwaltung haben. Und es sollte jemand mit Außenwirkung und Durchsetzungsvermögen sein. Das passte alles sehr schön.

Warum ist es so schwer, die zahlreichen Vorschläge zum Bürokratieabbau tatsächlich auch politisch durchzusetzen?

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Es gibt die Europäische Hygieneverordnung – deren Vorschriften natürlich eingehalten werden müssen. Aber muss ein kleiner Bäcker um die Ecke tatsächlich dieselben Dokumentationspflichten erfüllen wie ein großer Supermarkt? Wir haben gesagt: Nein. Am besten lässt sich durch lokale und regionale Aufsicht überprüfen, wie ein kleiner Betrieb mit weniger als zehn Beschäftigten die europäischen Standards erfüllt. Das muss nicht europäisch geregelt werden. In Deutschland bin ich mit diesem Vorschlag aber auf ziemlichen Widerstand gestoßen.

Weshalb?

Weil mein Vorschlag zunächst bei den Beamten gelandet ist, die früher einmal für die bestehenden Regelungen verantwortlich waren. Ich musste dann bei den zuständigen Ministern sehr massiv intervenieren, um die politische Unterstützung Deutschlands für meinen Vorschlag zu erhalten.

Nicht vom Tisch ist hingegen der Streit zwischen der Kommission und Berlin um die Energiemärkte. Brüssel will den großen Energieversorgern die Netze wegnehmen, wogegen sich Deutschland sperrt.

Die Kommission hat Gründe, warum sie die eigentumsrechtliche Entflechtung bei den Energienetzen für notwendig hält: Den Wettbewerb und vernünftige Energiepreise. In Deutschland sind die Energiepreise einfach zu hoch. Allerdings: Was wir vorgelegt haben, ist ein Vorschlag, kein Diktat. Jetzt sind der Ministerrat und das Europaparlament am Zug. Die Kommission wird flexibel genug sein, um dafür zu sorgen, dass am Ende eine Lösung steht.

Brüssel und Berlin streiten auch über das europäische Satellitennavigationssystem „Galileo“. Die Bundesregierung lehnt eine Neuausschreibung des Projekts, wie von der Kommission gewünscht, ab.

Am Anfang muss die Erkenntnis stehen, dass „Galileo“ ein europäisches Infrastrukturprojekt ist und mit öffentlichen Mitteln finanziert werden muss. Bis jetzt ist keine andere realistischere Möglichkeit als die Finanzierung durch den Gemeinschaftshaushalt angeboten worden. Und wenn wir „Galileo“ auf diesem Weg finanzieren, dann gelten die Finanzregeln der EU. Diese Regeln sehen nicht vor, dass ein Land in dem Maße mit Aufträgen aus dem EU-Haushalt bedacht wird, in dem es dort einzahlt. Die deutsche Haltung ist zwar verständlich, aber die Regeln sind klar: Wenn Galileo aus dem Gemeinschaftshaushalt finanziert wird, dann setzt sich das bessere Angebot durch.

Konkret befürchten deutsche Unternehmen, bei den lukrativen Aufträgen gegenüber französischen Firmen den Kürzeren zu ziehen.

Diese Frage betrifft zwar den Bereich meines Kollegen Jacques Barrot, des EU-Verkehrskommissars. Aber ich denke schon, dass ich in seinem Sinne spreche, wenn ich sage: Jacques Barrot wird in jedem Fall das Projekt so organisieren, dass bei der Auftragsvergabe niemand bevorzugt und niemand benachteiligt wird.

Herr Verheugen, Sie haben sich im vergangenen Monat erneut gegen Berichte über eine angebliche Affäre mit Ihrer Kabinettschefin Petra Erler zur Wehr setzen müssen. Der Vorsitzende des Bundestags-Europaausschusses, Gunther Krichbaum, hat Sie daraufhin aufgefordert, sich umfassend zu dem Thema zu erklären. Schwindet der Rückhalt, den Sie in Berlin genießen?

Die Äußerung von Herrn Krichbaum war eine sehr vereinzelte Bemerkung und bezog sich auf eine deutsche Illustrierte, die ihre angeblichen Enthüllungen nicht aufrechterhalten konnte. Das Landgericht Hamburg hat die Wiederholung dieser nachweislich falschen Berichterstattung in Wort und Bild schon vor Wochen verboten. Was soll ich da noch aufklären? Meine Zusammenarbeit mit Berlin – das heißt mit dem Parlament, der Regierung, den Parteien – ist gut und vertrauensvoll. Das wird auch so bleiben.

Das Gespräch führten Bernd Hops und Albrecht Meier.

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