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Politik: Gysi lässt Passage in Sachbuch streichen

Chef der Linksfraktion bestreitet Teilnahme an SED-Krisentreffen Ende 1989

Von Matthias Schlegel

Berlin - Das „Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2007“, das im Auftrag der Stiftung Aufarbeitung im März im Aufbau-Verlag erschienen ist, hat einen Rechtsstreit ausgelöst. Der Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag Gregor Gysi hat über seine Anwälte den Verlag ultimativ aufgefordert, eine Passage in dem Buch nicht mehr zu verbreiten. Darin äußert sich der damalige Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer über ein Treffen auf Einladung von Ministerpräsident Hans Modrow am 3. Dezember 1989, bei dem führende SED-Mitglieder über die Strategie zur Rettung der Partei gesprochen hätten. Gysi, der in dem Buch als Teilnehmer genannt wird, bestreitet, eingeladen oder gar dabei gewesen zu sein. Auch habe er keine Kenntnis über den Inhalt des „angeblichen Treffens“.

Bei dem Gespräch, so schildert der in dem Buch von dem Zeitgeschichtler Manfred Wilke interviewte Berghofer, habe Modrow gesagt: „Genossen, wenn wir die Partei retten wollen, brauchen wir Schuldige!“ Auf den Einwand Berghofers, wie er sich das vorstelle, „die Schuldigen sind wir“, habe Modrow geantwortet: „Nein, das kann man so nicht sehen. Wir brauchen Verantwortliche, zu denen es in der Gesellschaft schnell einen Konsens gibt und die Massen sagen, jawohl, das sind die Schuldigen. Das kann nicht die SED sein.“ Auf die Frage, wer das sein solle, habe Modrow gesagt: „Das Ministerium für Staatssicherheit.“ Da sei der ebenfalls anwesende Markus Wolf, langjähriger Chef der Stasi-Auslandsaufklärung, aufgesprungen und habe eingewandt, dass die Stasi nie etwas ohne Befehle der SED gemacht habe. Modrow habe ihn beruhigt: Die Hauptabteilung Aufklärung des MfS werde aus dieser Einschätzung „selbstverständlich“ herausgehalten.

Modrow habe weiter erklärt, als „hauptverantwortliche Person für die Misere“ werde ein Schuldiger gebraucht, „bei dem das Volk sagt, der hat auf unsere Kosten gelebt“. Und er habe den Namen Alexander Schalck-Golodkowski genannt. Das Resümee Berghofers, der bereits 1990 aus der PDS austrat, in dem Interview: „So fing die neue Partei an zu agieren. Natürlich will das heute keiner mehr wahrhaben. Man findet aber in den damals nachfolgenden Aktivitäten den Beweis.“

Modrow, der heute PDS-Ehrenvorsitzender ist, hat die Darstellung Berghofers bereits als „Räuberpistole“ zurückgewiesen. Sie sei „grob ehrverletzend“. Er behielt sich juristische Konsequenzen vor – die Gysi nun gezogen hat. Für den Vorstandsvorsitzenden der Stiftung Aufarbeitung, Rainer Eppelmann, ist dies „Vergangenheitsbewältigung per Rechtsanwalt“, die bei Gysi „bereits Tradition“ habe. Die bei der Begegnung im DDR-Ministerrat getroffenen Verabredungen hätten „offenkundig Früchte getragen“. Gysi „täte besser daran, wenn er sich in der Sache äußern würde, statt mit juristischen Keulen um sich zu schlagen“, sagte Eppelmann. Der Verlag unterzeichnete die Unterlassungserklärung.

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