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Milutinovic

© AFP

Haager Tribunal: Hohe Strafen für Milosevics Schergen

Das Haager Gericht verurteilt Vertraute des früheren Staatschefs. Dagegen gibt es einen Freispruch für Serbiens Ex-Präsident Milutinovic.

Zehn Jahre ist es her: In der ersten Hälfte des Jahres 1999 standen im Kosovo zahllose Dörfer in Flammen. Hunderttausende von kosovo-albanischen Zivilisten waren auf der Flucht – vertrieben von Einheiten der serbischen Polizei, der jugoslawischen Armee und wild wütenden Paramilitärs. Mindestens 700 000 Menschen – fast die Hälfte der kosovo-albanischen Bevölkerung – waren gezwungen, den Kosovo zu verlassen. Viele von ihnen fanden vorübergehend Schutz in den Nachbarländern Albanien und Mazedonien, ein Teil floh auch nach Westeuropa.

Doch mehrere Tausend Menschen überlebten die Terror- und Gewaltkampagne nicht: Sie wurden erschossen, erschlagen, bei lebendigem Leib verbrannt, von Minen zerfetzt oder verhungerten auf der Flucht in den Wäldern. Unzählige Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt. Wohnhäuser und Ställe wurden systematisch angezündet, Moscheen gesprengt. Die Nato bombardierte derweil Ziele in Serbien, um die Verbrechen zu stoppen.

Erstmals hat das Haager Tribunal nun fünf hochrangige Angehörige des Milosevic-Regimes wegen Kriegsverbrechen im Kosovo im Jahr 1999 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Der sechste Angeklagte, der ehemalige serbische Präsident Milan Milutinovic, wurde am Donnerstag freigesprochen.

Der Terror, so heißt es in der Anklageschrift des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag, habe vor allem ein Ziel gehabt: Die Kosovo-Albaner endgültig und mit allen Mitteln zu vertreiben. Damit habe Belgrad die Kontrolle über die damalige südserbische Provinz Kosovo langfristig erhalten wollen. Für diese Kriegsverbrechen machte die Anklage am ICTY die Führungsspitze von Politik, Militär und Polizei im damaligen Serbien verantwortlich.

Erstmals müssen nun fünf hohe Angehörige der einstigen Belgrader Führung und enge Verbündete von Slobodan Milosevic wegen ihrer Mitschuld an den Verbrechen in Kosovo für viele Jahre hinter Gitter. Das ICTY verurteilte den früheren stellvertretenden jugoslawischen Ministerpräsidenten Nikola Sainovic zu 22 Jahren, den ehemaligen jugoslawischen Generalstabschef Dragoljub Ojdanic zu 15 Jahren, die Generäle und Ex-Kommandeure Nebojsa Pavkovic und Vladimir Lazarevic zu 22 beziehungsweise 15 Jahren sowie den damals für das Kosovo verantwortlichen Polizeigeneral Sreten Lukic zu 22 Jahren Haft.

Der bekannteste Angeklagte allerdings, der einstige Präsident der damaligen jugoslawischen Teilrepublik Serbien, Milan Milutinovic, wurde freigesprochen. Der Vorsitzende Richter Iain Bonomy begründete dies damit, dass Milutinovic kein entscheidender Einfluss auf die Vorgänge im Kosovo nachgewiesen werden konnte. Milutinovic war von 1997 bis 2002 Präsident Serbiens – als Nachfolger von Slobodan Milosevic, der von 1990 bis 1997 serbischer und von 1997 bis 2000 jugoslawischer Präsident war. Milosevic gilt als Drahtzieher der Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Kosovo. Zu einer Verurteilung Milosevics kam es aber nie. Der prominenteste Angeklagte vor dem ICTY starb am 11. März 2006 in Untersuchungshaft.

Viele serbische Politiker kritisierten das Gericht. Das Tribunal sei antiserbisch und behandle nicht alle Angeklagten gleich, hieß es mit Blick auf den Freispruch des früheren kosovo-albanischen Rebellenführers Ramush Haradinaj im April 2008. Vizepremier Ivica Dacic, Vorsitzender der von Milosevic gegründeten Sozialistischen Partei Serbiens (SPS), sagte, die Urteile seien „eine Bestätigung dafür, dass der ganze Prozess von Anfang an politisch“ gewesen sei.

Der Richterspruch hat für Serbien möglicherweise weit reichende Folgen. Nach Ansicht des Belgrader Politologen Vojin Dimitrijevic könnte sich daraus das Recht der Kosovo-Albaner auf Selbstbestimmung ableiten – und damit die heutige Unabhängigkeit Kosovos gestützt werden. „Nach internationalem Recht ist der Staat verantwortlich für das Vorgehen seiner Organe“, sagte Dimitrijevic dem Radiosender B92. Diese Verantwortung hatte das damalige Serbien offensichtlich missbraucht oder nicht wahrgenommen. Auf Betreiben Serbiens untersucht der ebenfalls in Den Haag ansässige Internationale Gerichtshof, ob die Unabhängigkeitserklärung Kosovos vor einem Jahr mit internationalem Recht zu vereinbaren ist.

Norbert Rütsche[Sarajevo]

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