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Politik: „Handwerklicher Murks macht Hartz IV zum Fiasko“

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel über die Arbeitsmarktpolitik, den Wahlkampf und die Chancen seiner Partei

Wie muss der bevorstehende Wahlkampf ablaufen, damit er Ihrer Forderung nach Fairness entspricht?

Hoch hergehen darf es schon, vor allem inhaltlich. Aber persönlich diffamiert werden soll niemand. Wenn man sich ansieht, wie der Bundespräsident von manchen in der SPDFührung behandelt wird, dann ist diese Grenze überschritten. Der Präsident wurde bisher noch nie in einen Wahlkampf hineingezogen. Mit einer fairen Auseinandersetzung meine ich aber auch den Einsatz von Geld in einer Zeit mit leeren öffentlichen Kassen und fünf Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen. Wir werden in den nächsten Monaten Zeugen einer beispiellosen Werbekampagne der Bundesregierung für die Hartz-Reformen werden. Mit fünf Millionen Euro Steuergeldern will der Wirtschaftminister die angeblichen Erfolge seiner Arbeitsmarktpolitik bekannt machen. Ich nenne das einen unerträglichen, versteckten Wahlkampf für Rot-Grün und meine, das muss unterbunden werden. Das Geld kann sinnvoller für die Jobvermittlung ausgegeben werden.

Der CSU-Politiker Alois Glück warnt die Union vor einer neoliberalen FDP-Regierungsbeteiligung …

Dass wir in einer solchen Regierung ein notwendiges Korrektiv für streng konservative Sozialromantiker aus einer längst vergangenen Zeit und zugleich schwarz lackierte Sozialdemokraten sind, das ist doch gut.

Es scheint mehr Sozialromantiker zu geben, als Ihnen lieb ist. Glaubt man den Umfragen, schafft es die FDP womöglich noch nicht mal in den nächsten Bundestag.

Ich habe keinen Zweifel, dass wir ein hervorragendes Ergebnis erzielen werden.

Zum Regieren könnte es nicht reichen.

Warten wir es mal ab. Das rot-grüne Elend und die Nominierung der Kanzlerkandidatin der Union dominieren wohl im Augenblick die Umfragen. Wenn die Union erst ihr Wahlprogramm vorgelegt hat, dann werden sich die Höhenflüge von der absoluten Mehrheit erledigt haben. Außerdem wird die Unionsführung eine liberale Gegenkraft für die sozialdemokratisierten Kräfte in ihren eigenen Reihen brauchen.

Und das Soziale, wo bleibt das in der FDP?

In ganz vielen Bereichen. Soziales steckt in der Familienpolitik genauso wie in der Arbeitsmarktpolitik. Soziales wird von vielen an der Höhe der Alimentierung von Menschen gemessen. Wir sehen das nicht so. Klar muss die Gesellschaft für die einstehen, die keinen Job haben und sich selbst nicht helfen können. Aber hier geht es um Anreize und Chancen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Erwachsene Menschen wollen ein selbstbestimmtes Leben führen und nicht zu Taschengeldempfängern werden.

Viele Menschen sorgen sich, dass ihnen eine schwarz-gelbe Regierung selbst dieses Taschengeld kürzen wird …

Dass es Lohnausfallleistungen und staatliche Unterstützung zur Sicherung des Lebens für die geben muss, die keine Arbeit haben, das ist selbstverständlich, und es ist an den Haaren herbeigezogen, jetzt zu behaupten, Schwarz-Gelb wolle die Sozialleistungen abschaffen. Das politische Ziel muss sein, dass die Menschen in die Lage versetzt werden, aus der Arbeitslosigkeit wieder herauszukommen. Unserer Ansicht nach müssen dazu die Zuverdienstmöglichkeiten für Arbeitslose noch einmal erweitert werden. Weil es sich noch immer mehr lohnt, einen Ein-Euro-Job anzunehmen, als eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt zu suchen. Und wir brauchen natürlich eine wachstumsorientierte Politik. Unsere Antworten dazu liegen auf dem Tisch: Steuersenkungen und die Abschaffung von längst überkommenen Regelungen im Arbeitsrecht.

Vor einem knappen Jahr hat die FDP Hartz IV noch zugestimmt. Jetzt wollen Sie die Bundesagentur für Arbeit abschaffen. War alles ein Irrtum?

Ich habe nie behauptet, dass die Bundesagentur abgeschafft werden soll. Wir wollen sie auflösen. Ich sehe, dass es einer großen Koalition von SPD und Union gelungen ist, einen Verschiebebahnhof durch einen anderen zu ersetzen. Was ist denn geschehen: Nach wie vor kümmern sich Bundesagentur, Arbeitsgemeinschaften und Kommunen nebeneinander um die Arbeitslosen. Es gibt keine klaren Zuständigkeiten, und die Kosten sind um Milliarden nach oben geschnellt. 2004 hat jeder Arbeitsvermittler im Schnitt pro Monat 1,4 Menschen zu einem ungeförderten Job im ersten Arbeitsmarkt verholfen. Das ist beinahe nichts und kann doch nicht das Ergebnis dessen sein, was eine Jahrhundertreform genannt wurde. Hartz IV, das ahnen mittlerweile nicht nur die Betroffenen, ist durch den handwerklichen Murks ein Fiasko geworden.

Wie sieht Ihre Lösung aus?

Wir wollen ein Drei-Säulen-System durchsetzen. Dazu muss die Behörde in Nürnberg aufgelöst werden. Wohlgemerkt nicht ihre Aufgabe, nicht das Personal, aber die sich selbst immer wieder behindernde Struktur der Selbstverwaltung. Einen Teil der heutigen Aufgaben kann man privatisieren, etwa die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung. Oder an andere Behörden übergeben, wie die Kindergeldauszahlung. Und der Rest sollte neu strukturiert werden. Das Arbeitslosengeld I, die Versicherungsleistung, kann eine öffentliche Versicherung abwickeln. Und zwar mit den Arbeitnehmern, die den Arbeitgeberanteil ausgezahlt bekommen und dann Wahltarife abschließen. Die zweite Säule ist eine schmale überregionale Arbeitsagentur, in der 200 oder 300 Mitarbeiter alle bundesweiten Koordinierungsaufgaben wahrnehmen und für Transparenz bei den gemeldeten offenen Stellen sorgt. Und die dritte Säule, die breiteste, das sind die kommunalen Jobcenter vor Ort, die sich steuerfinanziert um die Leistungen und die Vermittlung kümmern. So wird den Menschen am sinnvollsten geholfen und kein Geld in riesigen Bürokratien verschleudert.

Das Gespräch führte Antje Sirleschtov.

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