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Protest gegen ein geplantes Flüchtlingsheim in Marzahn im vergangenen Dezember.

© imgao/Christian Mang

Hass auf Flüchtlinge: Dreimal mehr Angriffe auf Asylbewerberheime

Volksverhetzung, tätliche Angriffe und Brandsätze: Die Zahl der Angriffe auf Flüchtlinge steigt stark. Experten führen das auch auf die Stimmung bei Pegida-Protesten zurück.

Die Zahl der Übergriffe auf Heime und Wohnungen von Flüchtlingen in Deutschland ist in den vergangenen Monaten dramatisch gestiegen. Nach Auskunft der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag verzeichnete die Polizei in ganz Deutschland allein zwischen Oktober und Dezember 67 rechtsextrem motivierte Delikte – von der Volksverhetzung bis zum tätlichen Angriff mit Waffen und Brandsätzen auf die Häuser oder ihre Bewohner.

Im gesamten Jahr 2014 wurden damit 150 solcher Attacken gezählt, dreimal mehr als im Jahr zuvor. Schon 2013 hatte sich die Zahl verdoppelt: 2012 waren lediglich 24 Angriffe gemeldet worden. Die Zahl ist nicht endgültig, weil die Länderbehörden immer eine Frist zu Nachmeldungen haben. Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke hält sie allerdings auch auf aktuellem Stand für „offensichtlich unvollständig“. In der Liste der Straftaten fehle zum Beispiel der Brandanschlag von Vorra bei Nürnberg. Dort wurde am 11. Dezember ein Gebäude angegriffen, das zur Flüchtlingsunterkunft ausgebaut werden sollte. Jelpke sprach von „laxem Umgang mit rechter und rassistischer Gewalt, der mich fassungslos macht“.

Alle drei Tage eine Demo gegen Flüchtlingsheime

Auch die Zahl der Kundgebungen und Demonstrationen gegen Flüchtlinge, die die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Linken-Anfrage angibt, hält Jelpke für „gezielt kleingerechnet“. Sie hatte nach allen solchen Aktionen gefragt, die Antwort der Bundesregierung listet aber nur die auf, die „von der NPD, einer ihrer Unterorganisationen oder von anderen rechtsextremistischen Personenzusammenschlüssen (...) mit Bezug zum Thema ,Asyl‘ organisiert“ wurden. „Pegida und die zahlreichen Demos in Berlin-Marzahn und Berlin-Köpenick tauchen nicht auf“, kritisiert Jelpke. „Die Fixierung auf die schematische Zuordnung zum Rechtsextremismus verstellt den Blick auf das tatsächliche Ausmaß der rassistischen Mobilisierung.“

Allerdings sind auch in diesen Grenzen noch immer 26 einschlägige Demos und Kundgebungen in den vergangenen drei Monaten verzeichnet. Etwa alle drei Tage wurde irgendwo in Deutschland gegen „Asylbetrug“, „Überfremdung“ oder „Heimatzerstörung“ demonstriert, quer durch Deutschland und mit zwischen fünf und 550 Teilnehmern. In einem Drittel der Fälle war die Zahl der Demonstranten dreistellig.

175 Gebetsteppiche hat der Künstler Kurt Fleckenstein wenige Stunden vor einer Kundgebung des islamfeindlichen Vereins Pegida vor der Frauenkirche in Dresden ausgelegt. Er wollte damit ein Zeichen für Toleranz setzen.

© Arno Burgi/dpa

Wie aus der Antwort auf die Kleine Anfrage weiterhin hervorgeht, wurden nur 21 der 150 Straftaten im Zusammenhang mit dem Thema Asyl im „Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum Rechts erörtert“. Der Generalbundesanwalt beschäftigte sich demnach mit allen dort behandelten Fällen, übernahm aber keinen. Einige Fälle würden noch geprüft, heißt es in der Antwort auf die Anfrage.

Die beleidigte Mittelschicht marschiert

Der Bielefelder Gewaltforscher Andreas Zick, dessen Forschungsgruppe seit mehr als einem Jahrzehnt rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen untersucht, findet die Entwicklung nicht überraschend. Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte hätten schon im Zuge des „sehr klar gegen Zuwanderung und sogenannten ,Asylmissbrauch‘ fokussierten Europawahlkampfs“ Anfang 2014 zugenommen; dies habe sich auch im Gefolge der Pegida-Demonstrationen angekündigt. „Die menschenfeindliche Stimmung führt nicht automatisch zu Taten, aber sie motiviert gewaltbereite Personen und Gruppen und wird von den Tätern zur Rechtfertigung herangezogen“, sagt Zick. „Menschenfeindlichkeit wird als Norm wahrgenommen oder herangezogen. Das gilt für alle Hasstaten, auch jene von Menschen mit Migrationshintergrund gegen andere.“

Auch Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus im Alltag engagiert, sieht diese Verbindung: „In Sachsen können wir einen direkten Zusammenhang zwischen solchen Angriffen und dem Zulauf zu Pegida sehen.“ Während in Westdeutschland rechtsextreme Kameradschaften die Hinterleute seien, handele im Osten auch „die beleidigte Mittelschicht“. Der „handfeste, dicke Rassismus“ dort ähnle dem anderer Transformationsgesellschaften. „Man hätte ihm aber politisch Grenzen setzen müssen und nicht auf seine Ausbrüche mit einer Rentenerhöhung hier und einem Jugendklub dort reagieren dürfen. Pegida weist auf die großen Schwächen der Nach-Vereinigungs-Politik hin.“

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