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Politik: Hat die Opposition Macht, Herr Schäuble? Der Vizechef der Unionsfraktion über Krieg und Kanzlerreden

Herr Schäuble, wochenlang wartete die Nation auf die Rede des Kanzlers. Welcher starke Eindruck bleibt?

Herr Schäuble, wochenlang wartete die Nation auf die Rede des Kanzlers. Welcher starke Eindruck bleibt?

Mein starker Eindruck ist eine starke Enttäuschung. Ich habe zwar nicht viel erwartet, aber eine Hoffnung hatte ich doch: dass angesichts der schwierigen Lage des Landes ein paar positive Impulse von dieser Regierungserklärung ausgehen. Sie hat nun aber nicht nur nichts bewirkt, sondern den Rest kleiner Hoffnungen noch einmal enttäuscht.

Wie sah dieser Rest aus?

Ich hatte mindestens Schritte in Richtung auf eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und die Reduzierung der hohen Lohnzusatzkosten erwartet.

Die Möglichkeit der unbegrenzten Leih und Zeitarbeit in kleinen Betrieben hat Schröder genannt…

Selbst da hat er nur mehrere Modelle genannt, sich aber nicht entschieden, nicht einmal in dieser Frage. Und das ist der Punkt: Wer nicht einmal die Kraft hat, diesen kleinen Schritt zu gehen, der vergrößert die Enttäuschung.

Was bedeutet das für die Opposition, die über den Bundesrat ja mitregiert?

Die Mitarbeit des Bundesrats ist überhaupt nicht das Problem, sondern dass mit dieser Regierung im Bundestag die Gesetze nicht zustande kommen, die nur im Bundestag zustande kommen können. Keine Bundesratsmehrheit, nicht einmal eine hundertprozentige, kann Gesetze machen.

Das heißt, Sie können gar nichts tun als kritisieren?

Nicht so viel wie der Kanzler in seiner Regierungserklärung vom Freitag behauptet hat. Er hat da sogar einen ziemlich schäbigen Trick gebraucht und den Eindruck erweckt, die Gesundheitsreform werde durch den Bundesrat blockiert. Dabei braucht die Gesundheitspolitik, abgesehen vom Krankenhaussektor, nicht einmal die Zustimmung des Bundesrats. Da kündigt der Kanzler im Bundestag ein Kreditprogramm für den Eigenheimbau an. Im Bundesrat mussten wir verhindern, dass die Eigenheimzulage gestrichen wird. Mit Vollgas vorwärts und wieder rückwärts zu fahren, das führt zwar zu viel Energieverbrauch und Reifenabrieb, aber nicht zu Veränderungen.

Was erwarten Sie?

Angesichts der Lage des Landes kann der Bundeskanzler ihm nur noch einen Dienst erweisen: den Weg für eine bessere Regierung freimachen.

Und Sie meinen, so weit ist es schon?

Es ist bald so weit. So geht es nicht weiter. Ich vermute auch, dass seine eigene Fraktion das gespürt hat. Man konnte die wachsende Resignation in den Reihen der SPD während der Regierungserklärung ja sehen.

Wenn Sie glauben, die Opposition kann das Land aus der Krise führen: Wie weit geht Ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit? Bis zur großen Koalition?

Da führen Koalitionsfragen nicht weiter. Wenn Rot-Grün nicht in der Lage ist, den Wählerauftrag zu erfüllen, dann sollten sie den Weg für eine neue Wahl freimachen.

Daran glauben Sie aber nicht wirklich!

Deswegen bin ich, seit ich diese fünf Stunden Bundestagsdebatte sehr aufmerksam verfolgt habe, auch in einer eher traurigen Stimmung. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Lage Deutschlands besser wird.

Und Sie würde besser durch die Union? Weiß der Wähler, wofür Sie stehen? Das Programm, das der bayerische Ministerpräsident in seiner Antwort auf Schröder vorgetragen hat, war in Teilen deutlich anders als das, was die Unionsfraktion im Bundestag will.

Ich glaube, das sind Nuancen. Und eine Opposition, die nicht darauf vertrauen kann, dass ihre Vorschläge umgesetzt werden, wird sich in der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen immer ein Stück weit zurückhalten müssen.

Sie sind Opposition und deswegen frei vom Zwang, besonders klar zu sein?

Die Fraktion hat sich ja nach intensiven Beratungen auf gemeinsame Vorschläge geeinigt. Das hindert aber niemanden, auch nicht den Vorsitzenden der besonders erfolgreichen CSU, eigene Vorschläge zu machen. In den grundsätzlichen Fragen sind wir uns völlig einig.

Welche sind das?

Dass Arbeit nicht so teuer werden darf, dass immer mehr Arbeitsplätze abgebaut oder ins Ausland verlagert werden. Dass wir darauf achten müssen, dass die sozialen Sicherungssysteme nicht falsche Impulse geben. Und die sind falsch, wenn jemand mit Arbeit am Ende des Monats nicht mehr oder nicht wesentlich mehr Geld hat als ohne Arbeit.

Noch ein Beispiel: Die Gewerkschaften hat Friedrich Merz so heftig angegriffen, dass der saarländische Ministerpräsident Peter Müller sie vor seinem Parteifreund in Schutz genommen hat.

Der Respekt vor der Aufgabe der Gewerkschaften ist in der Union völlig unbestritten. Friedrich Merz hat sich nicht gegen die wichtige Rolle der Gewerkschaften in der Gesellschaft gewandt. Er hat nur den Machtanspruch einiger Gewerkschaftsfunktionäre kritisiert, die sich quasi an die Stelle des Gesetzgebers setzen, wenn sie beispielsweise versuchen, die Änderung des Kündigungsschutzes zu verhindern.

Vieles, was Sie wollen und was der Kanzler jetzt machen will oder wird, wollten auch die Grünen, schon in den Koalitionsgesprächen. Könnten Sie mit denen?

Einzelne Grüne machen den Eindruck, dass sie weniger betonköpfig sind. Aber das ist eine Frage, die Sie den Grünen stellen müssen, die ja programmatisch keineswegs geschlossen sind.

Meinen Sie, der kulturelle Graben zwischen Grün und Schwarz ist noch so groß, dass die sagen würden: Nie mit den Schwarzen? Zögert da nicht eher die Union?

Die Frage stellt sich nicht. Aber es gilt, dass jede demokratische Partei mit anderen demokratischen Parteien zusammenarbeiten kann.

Beunruhigt Sie, dass 80 Prozent der Deutschen die Irak-Politik der rot-grünen Regierung für richtig halten?

Mich bedrückt die Sorge, dass wir mit einer hohen Wahrscheinlichkeit einen Krieg bekommen, und zwar mit unabsehbaren Folgen. Und bevor nur ein Schuss gefallen ist, sind die Nato und die europäische Einigung beschädigt, ist das Vertrauen unserer Nachbarn im Osten erschüttert und der Weltsicherheitsrat in einer fürchterlichen Lage. Wenn es im Augenblick jemanden gibt, der sich als Sieger fühlen kann, dann ist das Saddam Hussein. Das ist das Ergebnis der Politik der Bundesregierung, die unglaublich verantwortungslos gehandelt hat.

Die Umfragen beeindrucken Sie nicht?

Die Sorgen der Menschen muss man ernst nehmen. Aber die Sorgen der Menschen geben noch keine Antwort auf die Frage, was die richtige Politik ist. Da muss man auch den Mut haben, seine Antwort unabhängig von den Meinungsumfragen zu formulieren.

Gibt es trotz der aus Ihrer Sicht schlimmen Vorgeschichte heute noch Handlungsmöglichkeiten, die Politik Washingtons zu beeinflussen?

Ich hoffe es, obwohl die Zeit knapp ist und das gegenseitige Misstrauen wächst. In New York geht es nicht mehr um eine Auseinandersetzung der Weltgemeinschaft mit Saddam Hussein. Dort streiten Washington und London auf der einen Seite gegen Paris und Berlin auf der anderen. Das ist eine Katastrophe, da fahren zwei Züge aufeinander zu. Aber noch immer müsste es möglich sein, Kompromisse zu finden. Auf den Azoren versuchen dies Amerikaner, Briten und Spanier gerade wieder. Aus London etwa kam ein Vorschlag, der eine Lösung ermöglichen könnte, ohne dass militärische Macht angewendet werden muss. Doch dieser Vorschlag wurde von Frankreich sofort abgelehnt, noch bevor ihn der Irak abgelehnt hat. Die Bundesregierung sollte all ihren Einfluss auf Paris geltend machen, damit Frankreich Washington nicht als Gegner betrachtet. Die deutsche Politik sollte endlich aufhören, den Widerstand gegen die Amerikaner zu organisieren, sondern sich um eine geschlossene Haltung des Westens bemühen.

Wäre eine Anerkennung nützlich, dass der US-Militäraufmarsch als Drohkulisse gegen den Irak notwendig ist? Sollte Deutschland etwa eine europäische Beteiligung an den Kosten des Aufmarsches vorschlagen?

Man muss sich auf konkrete, befristete Forderungen an den Irak verständigen und auch Konsequenzen androhen. Auch über die militärische Präsenz in der Region zur Druckausübung auf Saddam Hussein und zur Stabilisierung der Region muss es eine Einigung geben. Wer die Abrüstungsfortschritte gutheißt, muss bereit sein, über eine Beteiligung an diesem militärischen Druck zu reden, wenn er von Washington oder London gefragt wird.

Die Bundesregierung will keine Debatte über eine Beteiligung am Wiederaufbau des Iraks. Ist das richtig?

Nein. Wir sollten zu Gesprächen darüber bereit sein, wie man über die Entwaffnung hinaus eine dauerhafte Stabilisierung des Iraks erreichen kann – das muss kein Krieg sein, denn es gibt noch eine Chance, ihn zu vermeiden. Man sollte alles darauf konzentrieren, dass die bloße Drohung mit militärischen Mitteln das Ziel schon erreicht. In der Nachkriegszeit hatten wir doch gemeinsam etwas Wichtiges zustande gebracht: Wir haben die Anwendung militärischer Mittel auf die bloße Drohung begrenzen können – es ist nicht zum atomaren Showdown gekommen. Das müssten wir doch auch in Bezug auf den Irak schaffen können.

Hat erst die harte Haltung Deutschlands die Veto-Mächte Frankreich und Russland zur offenen Opposition gegen Washington getrieben?

Ich glaube, dass der deutsche Bundeskanzler überhaupt nicht geahnt hat, was er alles in Gang gesetzt hat mit seiner unverantwortlichen Politik. Ich fürchte, dass das deutsche Vorgehen einen sehr unglücklichen Einfluss auf die französische Politik gehabt hat. Bis dahin hatten sich deutsche Regierungen immer darum bemüht, die französische Politik in einer Balance mit dem Verhältnis zu Amerika zu halten. Nachdem Berlin sich aber offen gegen Washington stellte, hat die französische Politik Ende Januar die Balance verloren. Auch Putin musste seinen innenpolitischen Gegnern nachgeben und sich offen gegen Amerika stellen.

Die Deutschen hatten also in der Irak-Krise einen Einfluss auf die Weltpolitik, wie sie ihn in der ganzen Nachkriegszeit nie besessen hatten?

Ja. Ich glaube, dass der Satz „Germany is not relevant“ nicht mehr in dem Sinne gilt, in dem ihn der Rumsfeld-Berater Paul Wolfowitz vor einigen Wochen geprägt hat. Aber geplant hat die Bundesregierung diese Entwicklung nicht. Wenn Sie sich die Entstehungsgeschichte des Ersten Weltkriegs anschauen, dann sehen Sie kleine Schritte mit großen Wirkungen. Ihre Urheber hatten überhaupt nicht die Absicht, solche Folgen auszulösen. Deshalb muss man in der Außenpolitik, dem sensibelsten Feld der Politik, klug sein und versuchen, die Wirkungen zu bedenken. Ein paar Dinge aus der Geschichte sollte man beherzigen: Bisher galt, dass deutsche Politik verlässlich und unverbrüchlich in transatlantische Strukturen eingebunden ist. Der Bundeskanzler hat dieses Axiom ohne Not aufgegeben.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse interpretiert den offenen Widerspruch gegen Washington als Schritt deutscher Außenpolitik hin zum Erwachsenwerden.

Mit allem Respekt vor dem Amt des Bundestagspräsidenten: Das ist nun wirklich der „deutsche Weg“, der deutsche Sonderweg, der uns zurückführt in eine Zeit, die uns im vergangenen Jahrhundert zwei Weltkriege beschert hat. Eigene Rolle, Achsenbildung, Schaukelpolitik – wir lösen damit Misstrauen und Sorgen in unserer europäischen Nachbarschaft aus, etwa in Polen. Das ist doch verheerend. Deshalb sollte der Bundestagspräsident nun wirklich nicht vom „Erwachsenwerden“ und ähnlichen Dummheiten reden. Der Inhaber eines solchen Amtes sollte sich in einer so umstrittenen Frage zurückhalten.

Könnte der Streit um den Irak für Europa nicht auch heilsam sein?

Ich hoffe es. Es steckt in diesem Konflikt die Chance, dass die Europäer zur Besinnung kommen. Dann werden sie auch schnell begreifen, dass man Europa nicht in Gegnerschaft zu Amerika, sondern nur in der transatlantischen Partnerschaft formen kann.

Kann auch die amerikanische Politik daraus lernen?

Die amerikanische Politik wird ja nicht nur ganz stolz darauf sein, dass sie es im Sicherheitsrat noch nicht einmal geschafft hat, eine einfache Mehrheit für ihre Resolution zustande zu bringen. Aber sie wird die aus unserer Sicht richtigen Erkenntnisse eher ziehen, wenn sie sich darauf verlassen kann, dass die Europäer und vor allem die Deutschen verlässliche Partner sind. Auch deshalb ist das Vertrauen so wichtig, das der Bundeskanzler so leichtfertig verspielt.

Das Gespräch führten Andrea Dernbach und Hans Monath.

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