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Politik: Heilig sind die Zweifel

Zunächst jubelten viele Araber über die Anschläge. Nun gibt es aber Bedenken, ob Terror in Allahs Namen richtig ist

Von Andrea Nüsse, Amman

Die Anschläge vom 11. September 2001 haben die arabische Welt verändert. Die Regierungen handelten schnell: Sie sahen sich in ihrer Politik der harten Hand gegenüber dem politischen und militanten Islamismus bestätigt. In Ägypten, der Wiege des politischen Islamismus, hat Präsident Hosni Mubarak seinen erbitterten Kampf gegen jegliche islamistische Opposition verstärkt.

Hunderte Islamisten wurden festgenommen und vor ägyptischen Militärgerichten zu hohen Haftstrafen verurteilt. Dabei handelte es sich aber nicht immer um gewaltbereite Extremisten. Zuletzt wurden im Juni 16 Mitglieder der verbotenen Muslimbruderschaft, der größten islamistischen Oppositionsgruppe, zu drei bis fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Den neun Universitätsprofesssoren, fünf Ärzten und drei Ingenieuren wurde vorgeworfen, „eine verbotene Organisation“ wiederzubeleben. Menschenrechtler kritisieren, dass Zivilisten vor Militärgerichten verurteilt werden, deren Richter vom Verteidigungsminister ernannt sind und gegen deren Urteil kein Einspruch erhoben werden kann. Solche Vorwürfe bekümmern das Regime aber nicht. Denn seit dem internationalen Feldzug gegen den Terror hüten sich die westlichen Alliierten, diese Praktiken zu kritisieren. Die arabischen Regime haben freie Hand bei der Unterdrückung jeglicher politischer Opposition. Die verschärften Pressegesetze in Jordanien zeugen davon ebenso wie das Vorgehen gegen Islamisten in Ägypten.

In Saudi-Arabien versuchte sich die politische Führung unter dem Schock der Ereignisse des 11. September, aus der Umklammerung des mächtigen religiösen Establishments zu lösen. Die Regierung führte gegen den Widerstand der Religionsgelehrten Personalausweise für Frauen ein. Sie entzog den Geistlichen die gesamte Mädchenerziehung und gliederte sie in das staatliche Bildungsministerium ein.

Für die Entwicklung der Region entscheidend aber ist, dass seit einigen Monaten aus Sicht vieler Intellektueller endlich eine Debatte über das Verhältnis des Islam zur Politik, zum Westen und zur Anwendung von Gewalt eingesetzt hat. „Die Diskussion floriert jetzt“, sagte Ridwan as-Sayyid, Professor für Islamische Studien an der Universität von Beirut, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Die pauschale Kritik des Westens an islamischer Religion und Zivilisation nach dem 11. September habe jedoch so große Emotionen ausgelöst, dass Selbstkritik und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Westen zunächst nicht möglich gewesen seien, meint as-Sayyid allerdings.

Aber auch in den islamistischen Bewegungen selbst hat eine Diskussion eingesetzt. So trafen sich am vergangenen Wochenende in Kairo Vertreter islamistischer Bewegungen, um über ihre Zukunft zu diskutieren. Die rechte Hand von Osama bin Laden und Mitbegründer der „Dschihad“-Gruppe, Ayman al-Zawahri, wurde von den Organisatoren per Internet aufgefordert, sich zu den Anschlägen vom 11. September und „zur Krise der islamistischen Bewegungen“ zu äußern.

Ridwan as-Sayyid sieht einen Trend zur Abkehr von der Gewalt, die sich in erster Linie gegen die eigenen undemokratischen Regime richtete. So haben sich die syrischen Muslimbrüder in London zu einer Konferenz der nationalen Versöhnung getroffen. In Ägypten haben sich die seit Jahren inhaftierten Anführer der al-Gamaat al-islamyya, die für das Massaker an Touristen in Luxor im Jahre 1997 verantwortlich ist, von der Gewalt losgesagt. Sie erneuerten ihren Appell zum „Waffenstillstand“ von 1997 und entschuldigten sich in einer vierbändigen Publikation mit dem Titel „Korrektur von Konzepten“ für ihre „Verbrechen“. Islamistische Kritiker führen diese Kehrtwende aber nur auf die Tatsache zurück, dass diese Führer teilweise seit 20 Jahren in ägyptischen Gefängnissen sitzen.

Zudem hatte die al-Gamaat al-islamyya bereits nach dem Anschlag von Luxor den Rückhalt der ägyptischen Bevölkerung verloren. Der Zenit der militanten Islamisten, die auf den totalen Systemwechsel durch Gewalt setzten, schien in Ägypten wie anderswo schon vor dem 11. September 2001 überschritten. Diese These vertritt auch der französische Islam-Experte Gilles Kepel in seinem „Schwarzbuch des Islamismus“. Darin zeigt Kepel, dass revolutionäre Bewegungen zu terroristischen Mitteln greifen, wenn ihr politischer Appeal nachlässt.

Der ehemalige ägyptische Moslembruder Abu Ala al-Madi, der sich 1996 von der Bewegung abwandte, fürchtet jedoch, dass sich die Position der moderaten Islamisten nicht wirklich durchsetzen kann, solange die Weltmacht USA ihre einseitige Unterstützung Israels nicht aufgebe und falls sie den Irak angreifen sollte. „Bin Laden hatte die arabische Welt seit Jahren mit seinen Botschaften bombardiert – und kein Gehör gefunden“, sagte er. Erst der Zorn über die US-Politik in Palästina – die doppelten politischen Standards Washingtons – machten es möglich, dass bin Laden als „Herausforderer“ der USA doch noch populär wurde.

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