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Politik: Henker oder Held?

General Jaruzelski wird 80 – Polen streitet über seine historische Rolle

Stehende Ovationen prasselten dem schütteren Ehrengast des Parteitags entgegen. „100 Jahre, er lebe 100 Jahre !“, stimmten die Delegierten der sozialdemokratischen SLD am vergangenen Wochenende zur Begrüßung von General Wojciech Jaruzelski gerührt und verfrüht Polens traditionelles Geburtstagsständchen an: An diesem Sonntag vollendet der Mann, der 1981 das Kriegsrecht verhängte und acht Jahre später als Staatspräsident zum Paten des friedlichen Übergangs Polens zur Demokratie werden sollte, sein 80. Lebensjahr.

Nicht nur wegen seiner dunklen Sonnenbrille rief der Sohn eines adeligen Landbesitzers in den bleiernen Jahren des Kriegsrechts ungute Erinnerungen an südamerikanische Militärdiktatoren wach. Im In- und Ausland galt der steife General als das Sinnbild der Unterdrückung des polnischen Freiheitswillens, wurde er als „Henker der Nation“ geschmäht. „Feinde des Sozialismus“ hätten das Land an den „Rand des Bürgerkriegs“ gebracht, begründete Jaruzelski am 13. Dezember 1981 die Verhängung des Ausnahmezustands, das Verbot der Solidarnosc, die blutige Niederschlagung von Streiks und die Massenverhaftungen. Erst nach Polens Abschied vom Sozialismus lieferte er ein Jahrzehnt später eine Neu-Interpretation seiner Entscheidung nach: Nicht die Sorge um den Machterhalt der Sozialisten, sondern die Furcht vor einer sowjetischen Militärintervention hätte ihn damals zur Ausrufung des Kriegsrechts veranlasst.

Die „Verdienste“ von Jaruzelski, der Polen vor sowjetischer „Bruderhilfe“ bewahrt habe, könnten nicht hoch genug eingeschätzt werden, meint der letzte sozialistische Premier Mieczyslaw Radkowski. Beim Übergang Polens zur Demokratie, bei den Gesprächen am Runden Tisch, konnte Jaruzelski 1989 mit seiner konstruktiven Haltung sein Image ein wenig aufpolieren. Bei seinem Abtritt als Staatspräsident im Dezember 1990 räumte er offen „Fehler“ ein. Mit einigen der einst von ihm eingekerkerten Oppositionellen pflegt Jaruzelski heute sehr innige Kontakte. Doch können nicht alle Polen in den jubelnden Geburtstagschor für ihn miteinstimmen. „Für viele bleibt der General ein Symbol der Unterdrückung, des Terrors und der Erniedrigung“, kommentiert die „Rzeczpospolita“.

Thomas Roser

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