zum Hauptinhalt
Sebastian Edathy muss sich nun wegen Kinderporno-Verdachts verantworten. Moralisch wiegt der Vorwurf schwer - juristisch nicht.

© dpa

Heute Prozessbeginn: Sebastian Edathy: Aus dem Ausschuss ins Gericht

Sebastian Edathy soll Kinderpornos besessen haben. Heute muss er nicht vor einen Untersuchungsausschuss, sondern vor Gericht. Was ist von dem Prozess zu erwarten?

Was wird Edathy vorgeworfen?

Laut Anklage der Staatsanwaltschaft Hannover soll Edathy an sechs Tagen zwischen dem 1. und 10. November 2013 mit seinem vom Bundestag dienstlich gestellten Laptop Kinderporno-Websites angesteuert haben. Dort habe er sich die Vorschaubilder angesehen und damit verlinkte Videos heruntergeladen. Weiterhin wird ihm der Besitz eines Bildmagazins und einer CD mit jugendpornografischen Inhalten vorgeworfen, die bei einer Hausdurchsuchung am 12. Februar 2014 aufgefunden worden waren.

Wie wollen die Ankläger die Vorwürfe beweisen?

Das Landgericht Verden hat die Anklage im November 2014 zugelassen. Dies ist prozessual nur möglich, wenn die Richter eine spätere Verurteilung für überwiegend wahrscheinlich halten. Dem Eröffnungsbeschluss zufolge bestehe der hinreichende Verdacht, dass der Angeklagte hinsichtlich der in seinen Büroräumen in Rehburg-Loccum aufgefundenen CD „Movie“ und des Bildbandes „Boys in ihrer Freizeit“ jedenfalls „teilweise“ den Jugendpornografie-Tatbestand Paragraf 184c verwirklicht hat. Gemeint ist damit die Darstellung von sexuellen Handlungen an Personen, die mindestens 14, aber noch nicht 18 Jahre alt, also volljährig sind. Um die Downloads nachzuweisen, werden die Ermittler Protokolle der Logdateien auf den Rechnern des Deutschen Bundestags vorlegen.

Dürfen die Beweise verwertet werden?

Edathy glaubt, dass sie es nicht dürfen. Er beruft sich darauf, dass die Bestellungen bei Azov – nach gerichtlichen Feststellungen waren es 31 Produkte zwischen Oktober 2005 und Juni 2010 – nach deutschem Recht nicht strafbar gewesen seien. Folglich hätten die Behörden darauf keinen Anfangsverdacht auf den Besitz von Kinderpornografie stützen dürfen. Außerdem sei er zum Zeitpunkt der ersten Razzien-Beschlüsse am 10. Februar 2014 noch Abgeordneter gewesen und habe Immunität genossen.

Wie sehen das die Gerichte?

Eine Verfassungsbeschwerde Edathys verwarf das Bundesverfassungsgericht, weil die zuständigen Gerichte Edathys Azov-Bestellungen in einem „Grenzbereich zwischen strafrechtlich relevantem und irrelevantem Material eingeordnet“ hätten und deshalb gerade nicht von einem legalen Verhalten ausgegangen seien. Damit sei auch die Beschlagnahme der Bundestags-Logdateien rechtmäßig gewesen, folgerte das Landgericht Verden. Edathys Immunität spiele beim Auffinden von Buch und CD keine Rolle mehr, weil der entsprechende Durchsuchungsbeschluss vom 12. Februar 2014 stamme und seine Mitgliedschaft im Bundestag da bereits erloschen war.

Was erwartet Edathy bei einer Verurteilung?

Obwohl der Vorwurf des Kinderporno-Besitzes dramatisch klingt, handelt es sich juristisch um ein Vergehen, also eine minderschwere Tat. Der Strafrahmen liegt laut Anklage für den Besitz von Kinderpornografie bei bis zu zwei Jahren Haft oder Geldstrafe, bei Jugendpornografie ist es ein Jahr oder Geldstrafe.

Wie bemessen die Richter die Strafe?

Die dem Angeklagten zur Last gelegten Rechtsverletzungen wiesen „kein besonderes Ausmaß“ auf, weil es sich um „vergleichsweise wenige Taten mit einer noch begrenzten Anzahl an Zugriffen auf kinder- und jugendpornografische Darstellungen“ handele, teilte das Gericht bereits mit. Es seien auch keine schwerwiegenden Tatfolgen ersichtlich, sodass die Straferwartung „eher im unteren Bereich anzusiedeln“ wäre. Sprich: Da Edathy nicht einschlägig vorbestraft ist, könnten die Richter es möglicherweise bei einer Geldstrafe belassen. Wird wider Erwarten doch eine Haftstrafe verhängt, ist damit zu rechnen, dass sie auf Bewährung ausgesetzt wird.

Wer wird im Prozess aussagen?

Warum wird das Verfahren dann am Landgericht und nicht am Amtsgericht geführt?

Hier argumentiert das Landgericht Verden mit dem besonderen öffentlichen Interesse, das in solchen Fällen eine Anklage bei der höheren Instanz zulässt. Sebastian Edathy sei Bundestagsabgeordneter gewesen, der zudem in der vergangenen Legislaturperiode mit dem NSU-Gremium „einem wichtigen Untersuchungsausschuss“ vorgestanden hätte. Außerdem habe das Verfahren gegen Edathy außerordentliches Interesse in Presse, Rundfunk und Fernsehen gefunden. Die Begleitumstände des Tatgeschehens hätten zum Rücktritt eines Bundesministers und der Einsetzung eines weiteren Untersuchungsausschusses geführt. Die Taten sollen unter anderem über IT-Systeme begangen worden seien, die ihm als damaligem Mitglied des Deutschen Bundestages dienstlich zur Verfügung gestanden hätten. Dies alles begründe in der Zusammenschau „eine besondere Bedeutung des Falles“.

Wer wird im Prozess aussagen?

Das Landgericht hat Termine bis Ende April geplant und neben einem Sachverständigen zunächst acht Zeugen geladen, darunter Polizisten und Personen aus dem Umfeld des Angeklagten. Ob andere Politiker oder Spitzenbeamte aussagen müssen, wie vor dem Untersuchungsausschuss, ist unklar, aber nicht sehr wahrscheinlich. Hier geht es um die Schuld des Angeklagten, nicht um Vorgänge im Bundeskriminalamt oder der SPD.

Diese Vorgänge werden im Bundestages-Untersuchungsausschuss untersucht. Wie geht es da weiter?

Der Untersuchungsausschuss im Bundestag kommt am Mittwoch wieder zusammen – und stellt das Bundeskriminalamt in den Fokus. Die Regierungsfraktionen begründen dies damit, mehr über die Hintergründe der Operation „Selm“, die auch zu Edathy geführt hat, zu erfahren. Von besonderem Interesse sei dabei der sogenannte Beamte X, ein ehemaliger BKA-Mitarbeiter, der auch auf der Kundenliste der kanadischen Firma Azov-Films stand, auf der auch Edathy zu finden war. Über diese Firma soll kinderpornografisches Material bestellt worden sein – auch von dem hochrangigen BKA-Beamten. Anders als der Name Edathy fiel der Name des BKA-Beamten den Ermittlern früh auf. Der Mann erhielt einen Strafbefehl und wurde in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Auf den ersten Blick gibt es keine direkten Verbindungen zu Edathy, auf den zweiten aber möglicherweise schon. Denn Edathys Anwalt Christian Noll wies bei seiner Befragung in der vergangenen Ausschuss-Sitzung darauf hin, dass Edathy von Michael Hartmann über jenen BKA-Mitarbeiter informiert worden sei.

Nach Darstellung von Ausschussmitgliedern soll jener Beamter SPD-Mitglied gewesen sein – im selben Unterbezirk (Mainz-Bingen) wie Michael Hartmann auch. Ob Hartmann jenen Beamten wirklich näher kannte, ob er mit ihm über die Ermittlungen gesprochen hat, ist jedoch unklar, denn Hartmann verweigert zur Zeit die Aussage und eine Einladung vor den Untersuchungsausschuss gibt es für den Beamten X nicht. Noch nicht. Denn vor allem die CDU will nicht ausschließen, ihn als Zeugen zu laden.

Die Frage, wer was wann im Fall Edathy gewusst und von wem er es erfahren hat, wird allerdings nicht leicht aufzuklären sein. Nach Informationen des NDR sollen insgesamt 57 Politiker, Ermittler und Amtsträger in Niedersachsen bereits vor den Hausdurchsuchungen bei Edathy von dem Verdacht gewusst haben. Entsprechende Unterlagen sollen dem NDR-Fernsehmagazin „Hallo Niedersachsen“ vorliegen.

Wie ist es um die SPD-Mitgliedschaft Edathys bestellt?

Kurz nach Bekanntwerden des Falls distanzierten sich rasch viele Genossen von Edathy. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, sein Verhalten passe nicht zur SPD. Es wurde ein formales Parteiordnungsverfahren eingeleitet. Das allerdings ruht derzeit, weil die SPD in Niedersachsen, die das Verfahren durchführt, den Prozess abwarten will.

Droht der SPD durch den Prozess neues Ungemach?

Eher im Gegenteil. Die Sozialdemokraten dürften froh sein, dass der Prozess jetzt beginnt. Denn hier geht es eben nicht um die SPD, sondern den konkreten Sachverhalt und Kinderporno-Vorwürfe gegen Edathy. Und da der Untersuchungsausschuss sich erst mal von der politischen Bühne abwendet, gewinnt die SPD auch hier Zeit. Allerdings sind die Probleme für die Genossen nur aufgeschoben. Denn vor allem Thomas Oppermann, der Fraktionschef der SPD im Bundestag, steht weiter unter Druck. 

Anders als Parteichef Sigmar Gabriel, der von Hartmann gefordert hatte, seine Aussageverweigerung zurückzuziehen, schweigt Oppermann weiter. Er wolle dem Ausschuss, vor dem er früher oder später selbst als Zeuge wird aussagen müssen, nichts vorwegnehmen, heißt es in seinem Umfeld.

Die Sozialdemokraten in Rheinland-Pfalz sind erst recht nicht begeistert, dass die Affäre aus sozialdemokratischer Sicht auf der langen Bank liegt. Denn im kommenden Jahr stehen Landtagswahlen an und Hartmann, der in Rheinland-Pfalz durchaus eine bekannte Figur ist, wird so zur Belastung. Deshalb erhöhen die rheinland-pfälzischen Genossen den Druck auf Hartmann, für Aufklärung zu sorgen. Doch Hartmann hält weiter an seinem Schweigen fest – mit dem Verweis auf mögliche staatsanwaltschaftliche Ermittlungen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false