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Politik: Hilfe – die Demonstranten kommen

Seit dem Jahr 2000 tagen die Staatschefs der G 8 in regelrechten Festungen oder gleich auf einer Insel

Berlin/Rom/London - Im Frühsommer 1999 hat der letzte „normale“ G-8-Gipfel stattgefunden. Doch auch der Gipfel in Köln fand unter großer öffentlicher Anteilnahme statt. Tausende Demonstranten waren auf den Straßen und verlangten eine Entschuldung der ärmsten Staaten der Welt. Mit Erfolg – in Köln wurde die Entschuldungsinitiative beschlossen, mit der zumindest die am schwersten verschuldeten Staaten ihre oft von früheren Potentaten angehäuften Verbindlichkeiten gegen das Versprechen, die frei werdenden Mittel zur Armutsbekämpfung einzusetzen, loswerden konnten. Der Gipfel-Protest in Köln war machtvoll, fröhlich und friedlich. Wenige Monate später im Herbst bei der Tagung der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle konnte davon keine Rede mehr sein. Seattle ging als Schlacht und als Geburtsstunde der globalisierungskritischen Bewegung in die Annalen ein. Seither finden die Gipfel unter massivem Polizeischutz und immer öfter in entlegenen Regionen statt.

Beim G-8-Gipfel in Okinawa im Jahr 2000 bewachten 20 000 schwer bewaffnete Polizisten und sechs Kriegsschiffe die Staats- und Regierungschefs. Außerdem wurde eine zwei Kilometerzone im Meer zur Sperrzone erklärt.

Im Juli 2001 folgte der Gipfel in Genua. Im Juni desselben Jahres hat es schwere Krawalle gegeben beim EU-Gipfel in Göteborg; das Weltwirtschaftsforum in Salzburg kurz danach kam wegen strenger Grenz-Abriegelungen mit dem Schrecken davon. In diesem Klima bereitete sich die italienische Hafenstadt Genua auf den G-8-Gipfel vor. Die Innenstadt wurde zur „roten Zone“ erklärt, zwei Quadratkilometer, 60 Straßen und Plätze wurden hinter einem Zaun verschlossen. Polizei und Geheimdienst musterten zahlreiche Ausländer im historischen, unkontrollierbaren Gassengewirr und drängten sie, die Stadt zu verlassen, „sonst setzen wir euch vor dem Gipfel sicherheitshalber fest“. Sträflinge wurden nach Sardinien verlegt, um genügend Platz für verhaftete Randalierer zu haben. Fluchtartig verließen etwa 250 000 von 600 000 Genuesern ihre Stadt.

Der Rest ist bekannt: An die 100 000 Gipfelgegner zogen durch die Stadt; Gewalttätige unter ihnen lieferten sich harte Straßenschlachten mit der Polizei. Diese erschoss einen Demonstranten – und griff darüber hinaus gegen die Masse der Friedlichen mit einer in Italien ungeahnten Brutalität durch: Junge Leute, die in einer Schule übernachten, wurden von Spezialtrupps überfallen, geschlagen und misshandelt. Als „Beweis“ für die Gewaltbereitschaft der Schlafenden führt die Polizei an, sie habe Molotow-Cocktails in der Schule gefunden. So weit stimmt das. Nur waren die benzingefüllten Flaschen zuvor von Polizisten dort hineingeschmuggelt worden.

Innenminister Claudio Scajola, der seine Beamten vor dem Gipfel zur Besonnenheit gedrängt hatte („Denkt immer daran, schon ein kleiner Zwischenfall kann unsere ganze Arbeit vor der Weltöffentlichkeit in Misskredit bringen“), musste nach den Exzessen von Genua seinen Stuhl räumen. Das Gerichtsverfahren gegen Einsatzkräfte der Polizei schleppt sich bis heute eher mühsam dahin.

Die Gipfel in Kananaskis (Kanada), Evian (Frankreich) und Sea Island (USA) in den Jahren 2002 bis 2004 erprobten das Konzept Abgelegenheit. Kananaskis und Evian liegen beide tief im Gebirge. Sea Island ist eine Insel vor Georgia im Atlantik. In allen drei Fällen wurden die Versammlungsorte zum Sperrgebiet erklärt, Demonstrationen wurden geduldet – aber nur weit weg vom Geschehen. Das Konzept ging insofern auf, als die Zahl der Demonstranten tatsächlich deutlich sank.

Teils bis auf Sichtweite kamen die Demonstranten 2005 im schottischen Gleneagles an den Tagungsort der Staats- und Regierungchefs heran. Ein alles andere als unüberwindbarer Sicherheitszaun trennte die Protestierenden von der politischen Prominenz. In die Nähe des Gipfels, der in einem luxuriösen Golfhotelkomplex auf dem Land stattfand, durften Demonstranten nur in Bussen fahren, die von der Polizei eskortiert wurden. Polizisten hielten mehrere Busse immer wieder auf, was rechtlich möglich ist, wenn der Verdacht auf Gewalt besteht. Erst nach langen Diskussionen gelangten schließlich einige tausend Demonstranten nach Gleneagles. Nicht vorbereitet war die Polizei offenbar auf die Pläne einiger Autonomer. Sie traten einfach den langen Marsch über schottische Wiesen und Felder an, um zu Fuß zum Sicherheitszaun zu gelangen. Als einige von ihnen versuchten, über den Zaun zu klettern, ging die Polizei dazwischen. Die Bilder vom Krawall in Schottland dominierten in den britischen Medien nur kurz. Denn dann kam der 7. Juli 2005. Noch während des Gipfels starben in London 52 Menschen nach Selbstmordanschlägen islamischer Fundamentalisten in der U-Bahn und in einem Bus.

Beim G-8-Gipfel in Sankt Petersburg im vergangenen Jahr, dem ersten, den Russland ausrichten durfte, gab es kaum Bilder vom Protest. Was aber vor allem daran lag, dass die russischen Behörden in ganz Sankt Petersburg ein Demonstrationsverbot erlassen hatten. Dutzende ausländischer Aktivisten wurden festgenommen und tagelang festgehalten. Weil in Russland Grundrechte wie das Demonstrationsrecht nicht ganz so hoch geschätzt werden, wie in anderen G-8-Staaten, mussten sich die Staatschefs dafür wenigstens einmal nicht verstecken.

Beim G-8-Gipfel in Heiligendamm vom 6. bis 8. Juni gilt wieder die Devise : Je abgelegener, desto besser. Das Ostseebad ist mit einem Zaun gesichert. Und die Polizei hat vorbeugend eine Bannmeile erlassen, in der keine Demonstrationen stattfinden dürfen – bis zum Gipfel gilt sie bis 200 Meter vom Zaun entfernt. Während des Gipfels kann die Bannmeile sogar mehrere Kilometer betragen.

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