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Voll im Griff. Die Hebammen-Haftung ist zum Politikum geworden.

© S.Kobold - Fotolia

Hunderttausende machen Druck: Hilfe für die Hebammen

Wer wissen will, wie erfolgreiche Lobbyarbeit funktioniert: Von den Hebammen kann er es lernen.

Drei Gesundheitsminister kennen sie inzwischen persönlich, bei der Bundeskanzlerin waren sie auch schon. Kanzleramtsminister, Familienministerin und diverse Landesminister sowieso. Fünf Bundesministerien beschäftigten sich über ein Jahr lang mit ihrem Anliegen. Es wurde eigens noch im bereits ausverhandelten Koalitionsvertrag nachgetragen. Es war Thema in Bundestag und Bundesrat. Die Länderkammer schlug sich, auf Initiative von acht Bundesländern, per Entschließungsantrag auf ihre Seite und mahnte die Regierung zu „zügigem“ Vorgehen. Im Parlament findet sich keine Fraktion, aus der ihnen nicht wortreich Unterstützung signalisiert wurde. Und seit Monaten vergeht kaum ein Tag, an dem sich nicht irgendwo Hunderte mittels Demonstration, Protestaktion, Mahnwache oder Flashmob lautstark in ihrem Sinne bemerkbar machen. Von Twitter, Facebook und andere Internetforen gar nicht zu reden.

Wer wissen möchte, wie man Lobbyarbeit perfektioniert und auch ohne viel Geld, Mitgliedermasse oder langjährige Verbandelung mit den Mächtigen immensen politischen Druck aufbauen kann: Von den Hebammen kann er es lernen.

Es geht um 3500 Frauen - und viel mehr

18 000 Mitglieder hat der Deutsche Hebammenverband (DHV), rund 1000 der Bund freiberuflicher Hebammen (BfHD). Und bundesweit betrifft das Problem, das im Moment die halbe Republik umzutreiben scheint, im Kern nicht mehr als 3500 Personen. Nur so viele Hebammen nämlich sind nach Verbandsangaben freiberuflich in der Geburtshilfe tätig – und durch steigende Haftpflichtprämien und abspringende Versicherer tatsächlich in ihrer Existenz bedroht. Zum Vergleich: In der Pflege, in der die Arbeitsbedingungen auch oft zum Davonlaufen sind, arbeiten mehr als eine Million Menschen.

Von wegen, bekommt der Verfasser spätestens hier zu hören. Es geht nicht nur um ein paar Hebammen. Es geht um alle, die Kinder bekommen möchten. Um ein gesetzlich verbrieftes Recht, die freie Wahl des Geburtsortes. Es geht darum, zur Geburt nicht in ein anonymes und womöglich weit entferntes Klinikum zu müssen. Es geht um Zuwendung, liebevolle Begleitung in einer der wichtigsten Phasen des Lebens. Und darum, was wir uns noch gefallen lassen wollen von den Versicherern und einem komplett durchökonomisierten Medizinbetrieb.

Das mag stimmen oder übertrieben sein. Fakt ist: Wenn es eine Messlatte für erfolgreichen Lobbyismus gibt, dann die, wie viele man mit ins Boot bekommt. Und davon überzeugen kann, dass das eigene Partikularinteresse das ihrige ist. Im besten Fall: das der gesamten Gesellschaft.

Fast 400 000 Online-Unterschriften

„Lieber Herr Gröhe, retten Sie unsere Hebammen“: Mehr als 394 000 Menschen haben diesen Aufruf auf der Internetplattform change.org unterschrieben – in eineinhalb Monaten. Das ist einsamer Rekord in Deutschland. Und dahinter stecken keine Hebammenfunktionärinnen, sondern junge Mütter. Vor allem eine: 2012 brachte Bianca Kasting ihre Tochter Lotta zur Welt, in einem Geburtshaus nahe Münster. Ein beglückendes Erlebnis, wie die 32-Jährige erzählt. 2013 wurde das Haus geschlossen. Weil es dort nicht mehr genug Hebammen gab, die ihre Haftpflichtprämien von mehr als 5000 Euro im Jahr noch zu stemmen vermögen. Und im Februar 2014 kam noch eins drauf: Einer der letzten Versicherer kündigte an, aus dem Geschäft auszusteigen. Womöglich, so die Befürchtung, stehen freiberufliche Hebammen im nächsten Jahr dann ganz ohne Absicherung da. Es wäre das Ende für den Berufsstand.

Dieses Schreckgespenst war bei Kasting der letzte Auslöser. Sie startete eine Onlinepetition. Und auch anderswo wurden Mütter aktiv. In Essen gründete Eva Abert – 33 Jahre und mit der Erfahrung von „wunderschönen Hausgeburten“ – zeitgleich eine Facebook-Gruppe. Sie wollte sich im Netz austauschen, ihren Ärger artikulieren – und wurde überrollt. In weniger als 48 Stunden hatte sie mehr als 10 000 Mitglieder.

Ohne die Unterstützer keine Chance

Auch dabei, von Anfang an: die Kinderkrankenpflegerin Sandra Grimm aus der Pfalz. Mit ihrem Mann, einem IT-Experten, bastelte die 24-Jährige die Internetseite hebammenunterstuetzung.de. Seither läuft der Protest hochprofessionell. Die Aktivistinnen organisieren Kundgebungen, schreiben Politiker an, sammeln Unterschriften und Spenden. Es gibt Briefvorlagen, Plakate zum Selberdrucken, ein Twitter-Profil, einen Trailer auf Youtube, 25 Regionalgruppen, eine „Demo-Beauftragte“. Und auch einen „Support-Shop“ mit 105 Merchandising- Artikeln – vom Sweatshirt bis zu Regenschirm, Kaffeetasse und Baseballcap.

„Als Verband hätten wir so was nie auf die Beine gekriegt“, sagt Maren Borgerding. Sie ist eine der zwei Teilzeit-Öffentlichkeitsarbeiterinnen im DHV – und gesteht rundheraus, bei all den Aktivitäten und Kleinstgrüppchen den Überblick verloren zu haben. „Wir kommen ja kaum noch nach, die Presse zu beobachten.“

Nur eine Petition? Von wegen

Selbst bei den Petitionen muss man genauer hinschauen. Zwei laufen derzeit: der Massen-Appell an den Gesundheitsminister über change.org und seit Mitte März noch eine weitere, um ein Rederecht im Bundestag zu erlangen. 50 000 Unterschriften brauchte es dafür in vier Wochen; das Quorum ist bereits nach drei Wochen geknackt. Zwei andere Petitionen liefen bereits. Mit 134 000 Unterschriften schaffte es die Schriftstellerin Anke Bastrop im Herbst 2013, der neuen Koalition das Versprechen einer „angemessenen“ Vergütung abzuringen. Und schon 2010 gelang es dem DHV mithilfe von 186 000 Unterzeichnern, die Politik auf das Problem aufmerksam zu machen. Es folgte die Festschreibung des Rechts auf freie Wahl des Geburtsortes. Und die Vorgabe, Haftpflichtkosten bei Honorarverhandlungen künftig mit zu berücksichtigen. Beides steht seither im Sozialgesetzbuch V.

Jetzt geht es um die Haftungsfrage

Nun geht es, weil das den Berufsstand noch immer nicht rettet, um Haftungsobergrenzen, Regressdeckelung, eine endgültige Lösung – und wieder trommeln Hunderttausende mit den Verbänden. Unverzichtbar sei diese Hilfe, heißt es dort. Denn selbst beim DHV, der in allen Bundesländern Ableger unterhält, sind sie personell nicht üppig aufgestellt. Viele Landeschefinnen arbeiten ehrenamtlich. Auch im Bundesverband gibt es nur vier Vollzeitfunktionärinnen – Präsidentin Martina Klenk und ihre drei Beirätinnen. Bei Sprecherin Nina Martin hilft manchmal die Oma von zu Hause mit.

Die Interessen von Verband und Unterstützergruppen seien nahezu deckungsgleich, freuen sie sich im DHV. Allerdings ist auch zu hören, dass es die Aktivistinnen allmählich ein wenig ruhiger angehen könnten. Dass es die vierte Petition vielleicht nicht mehr gebraucht hätte, da Problem und Anliegen hinreichend vermittelt seien. Dass es jetzt eher um Lösungen gehe. Und man aufpassen müsse, diese nicht durch immer neue Unterschriftensammlungen zu verzögern.

Sie habe selten derartigen Zusammenhalt erlebt, schwärmt Martina Klukas aus Flensburg, zuständig für Medien beim Internetauftritt „Hebammenunterstützung“. Scherzhaft habe sie schon überlegt, was sie als Nächstes angehen könne, sagt die 27-Jährige. Als Altenpflegerin muss sie da nicht lange nachdenken. Der Sozialverband VdK hat vorgelegt und vor zweieinhalb Wochen eine Petition nach dem Hebammenvorbild gestartet. „Große Pflegereform jetzt“, lautet der Titel. Es geht darum, in der Pflegeversicherung endlich auch Demenzkranke gleichzustellen. Das Echo jedoch ist verhalten, zumindest im Netz. Bisher kamen dort nicht mal 3400 Unterschriften zusammen.

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