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Politik: Hinrichtung trotz mentaler Behinderung? Geisteszustand von Häftling in Georgia unklar

Washington - Warren Hill hat dem Tod mehrfach ins Auge geschaut. Seit mehr als zwanzig Jahren sitzt er im „Death Row“, dem Gefängnistrakt für die zum Tode Verurteilten.

Washington - Warren Hill hat dem Tod mehrfach ins Auge geschaut. Seit mehr als zwanzig Jahren sitzt er im „Death Row“, dem Gefängnistrakt für die zum Tode Verurteilten. Im Juli 2012 stoppte Georgias Oberstes Gericht die Hinrichtung des 52-Jährigen 90 Minuten vor dem Exekutionstermin. Der US-Staat stellte damals bei der Ausführung der Todesstrafe per Giftspritze von einem Cocktail aus drei Substanzen auf nur ein Wirkmittel um. Die Verteidigung verlangte Aufschub, die Richter gewährten ihn. Am 4. Februar urteilten die Richter, nun gebe es keine Zweifel mehr an der neuen Methode.

Für Dienstag ist nun die Hinrichtung erneut geplant. Anwälte der Todesstrafengegner haben alle juristischen Hebel in Bewegung gesetzt, die Amerikas Rechtsstaat auf Landes- und Bundesebene bietet: Gnadengesuch, Aufschub und Einspruch, weil eine Exekution in Hills Fall nach ihrer Meinung gegen ein Grundsatzurteil des nationalen Supreme Court von 2002 verstößt. Geistig Zurückgebliebene dürfen nicht hingerichtet werden. Die Definition überließen die Obersten Richter jedoch den einzelnen Staaten.

Den Antrag, die Todesstrafe auf dem Gnadenweg in Lebenslang ohne Bewährung abzuwandeln, hat Georgias zuständige Kommission Ende vergangener Woche abgelehnt – und ebenso die Bitte um Aufschub. So rückt die Frage nach Hills Geisteszustand wieder ins Zentrum der Auseinandersetzung. Sie wird mit juristischen Argumenten geführt, aber auch mit Appellen an die öffentliche Meinung, die durch ihre einseitige Darstellung und Wortwahl auffallen. Bei den Todesstrafengegnern klingen sie so, als drohe ein Justizmord. Die Verbrechen, deretwegen Hill verurteilt wurde, kommen darin nicht vor. 1986 hatte Hill seine 18-jährige Freundin mit elf Schüssen getötet und war zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Im Gefängnis ermordete er den Mitgefangenen, mit dem er die Zelle teilte, während der schlief – auf brutale Weise, die sowohl Vorsatz als auch die geistige Fähigkeit zur Planung erkennen lässt. Er hatte sich eine Waffe gebastelt: ein Brett, in das er Nägel einschlug.

Konservative Regionalmedien nennen Hill einen „verurteilten Killer“ und verschweigen gerne, dass Georgia mit geistig Behinderten in einem entscheidenden Punkt anders umgeht als die anderen Bundesstaaten. Georgia hat ihre Hinrichtung zwar schon 1988 verboten, aber eine hohe Hürde gesetzt. Es müsse „jenseits vernünftiger Zweifel“ bewiesen werden, dass der Betroffene geistig zurückgeblieben sei.

Hill ist ein Grenzfall. Bei ihm wurde ein Intelligenzquotient von 70 festgestellt. Täter mit einem Wert darunter gelten als „mentally disabled“, also geistig behindert. Die Ärzte, die ihn 2000 beurteilten, sahen damals keinen Anlass für diese Einstufung. Heute nennen sie ihre Diagnose einen Irrtum. Auch ihre neue Bewertung macht den Fall aber nicht eindeutig. Sie sprechen nun von „mild mental retardation“ („leichte geistige Zurückgebliebenheit“). Es ist offen, ob das den Bundesrichtern reicht, um in die Landesjustiz einzugreifen. Christoph von Marschall

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