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Politik: Hinter den Linden: Quantensprung

Den Arbeitsminister Walter Riester zu verstehen, wenn er über die Rente redet, ist dem normalen Sterblichen nicht gegeben. Den Physiker Werner Heisenberg zu verstehen, wenn er über Quantentheorie geredet hat, ist für den normalen Sterblichen auch nicht ganz leicht.

Von Robert Birnbaum

Den Arbeitsminister Walter Riester zu verstehen, wenn er über die Rente redet, ist dem normalen Sterblichen nicht gegeben. Den Physiker Werner Heisenberg zu verstehen, wenn er über Quantentheorie geredet hat, ist für den normalen Sterblichen auch nicht ganz leicht. Aber, hat sich Riester vorige Woche gedacht, immer noch einfacher Heisenberg als ich. Darum hat er dem Bundestag die Rentenreform folgendermaßen nahegebracht: "Wir reden nicht nur über einen Quantensprung, sondern wir führen diesen Quantensprung in der Alterssicherung durch." Was will uns der Walter Riester damit sagen?

Schlagen wir nach bei Heisenberg. Dem verdanken wir die nach ihm benannte Unschärferelation. Klingt kompliziert, lässt sich aber für den Hausgebrauch halbwegs erklären. Wenn der Kanzler einen Riesterschen Gesetzentwurf nimmt und schmeißt ihn in hohem Bogen in den Papierkorb, dann können wir das genau beobachten. Wir können zu jeder Sekunde nachmessen, an welchem Punkt im Raum sich der Papierstapel befindet, und daraus seinen Weg berechnen. Denn die Lichtstrahlen der Lampe, mit denen wir den Vorgang beleuchten, schieben den Entwurf um keinen Millionstelmillimeter aus seiner abschüssigen Bahn.

Anders in der Welt des Atoms. Dort sind alle Teilchen derart klein und leicht, dass sie sich von einem Lichtstrahl beeindrucken lassen. Richtet ein Forscher sein - nun, nennen wir es "Mikroskop" - auf ein Atomteilchen, dann kann er genau sagen, wo es in dem Moment ist. Er kann aber nicht messen, welchen Weg es zu nehmen gedenkt. Denn in dem Moment, in dem sein Beobachtungsinstrument das Teilchen zwecks Betrachtung beleuchtet, schiebt es der Strahl aus seiner alten Bahn auf eine neue.

Auch sonst geht es in der Quantentheorie unscharf zu. Dass Riesters Entwurf im Papierkorb landet, ist gewiss. Ob ein Atomteilchen aber von A nach B fliegen wird oder vielleicht doch nach C, lässt sich nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sagen.

Daraus lernen wir: Erstens, dass die diversen Riesterschen Rentenreformentwürfe nur deshalb immer wieder aus der Bahn geworfen worden sind, weil wir sie beobachtet haben. Zweitens, dass der Arbeitsminister wegen der Sache mit der Wahrscheinlichkeit nicht vorhersagen kann, wo seine Reform hinführen wird. Drittens aber stellt so viel Selbsterkenntnis einen echten Quantensprung dar.

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