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Politik: Hinter Gittern

Die Kriminalitätsrate sinkt, doch die Zahl der Gefangenen steigt. Vor allem das Strafmaß hat sich verändert

Berlin - In deutschen Gefängnissen sitzen so viele Inhaftierte wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren es am 31. März diesen Jahres 64 512 Häftlinge. Und das, obwohl die Entwicklung der Kriminalität in Deutschland rückläufig ist – bis auf die Jugendkriminalität seit Jahren sogar erheblich. Im internationalen Vergleich sind die Gefangenenzahlen jedoch unterdurchschnittlich.

Nur fünf Prozent der Gefangenen sind Frauen, in absoluten Zahlen sind das 3300. 40 Prozent der Gefangenen sind jünger als 30 Jahre, 11 Prozent älter als 50 Jahre und 22 Prozent haben keinen deutschen Pass. Nur 16 Prozent verbüßen ihre Strafe im offenen Vollzug, Tendenz sinkend. Dabei formuliert das Strafvollzugsgesetz den offenen Vollzug als den anzustrebenden Regelfall.

Den Widerspruch zwischen sinkender Kriminalität und steigenden Inhaftierungszahlen können die Statistiker nicht mit Zahlen aufklären. Der Experte des Statistischen Bundesamtes, Stefan Brings, indes nennt Faktoren, die die gegenläufigen Tendenzen mit erklären könnten: Da ist einmal die Qualität der Kriminalität, also die Schwere der Straftaten. Davon ist natürlich abhängig, wie lange jemand inhaftiert wird. Dann die „Strafzumessungspraxis“. In Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Forderung, den Strafrahmen auszuschöpfen, werde möglicherweise härter geurteilt. Drittens werde offenbar auch der Strafnachlass zu Teilen restriktiver gehandhabt. Und schließlich führt Brings noch ein soziales Argument ins Feld: Höhere Arbeitslosenzahlen könnten auch dazu führen, dass mehr Ersatzfreiheitsstrafen angetreten werden. Wer eine Geldstrafe nicht zahlen könne, wandere stattdessen ins Gefängnis.

Bei den Inhaftierungsgründen gibt es eine Verschiebung. Weniger Menschen sitzen wegen Diebstahl und Straßenverkehrsdelikten hinter Gittern, mehr dagegen wegen Körperverletzung, Betrug und Drogendelikten. Insbesondere die wegen Drogen verurteilten Straftäter stellen die Haftanstalten vor zusätzliche Probleme. Aber auch eine andere Gruppe bedeutet eine Herausforderung: die der Inhaftierten über 60 Jahre. Zwar ist deren Anteil in Bezug auf den Bevölkerungsanteil nicht relevant angestiegen, aber in absoluten Zahlen sitzen mehr Senioren ein.

Obwohl der Ausländeranteil mit 22 Prozent über dem Anteil in der Gesamtgesellschaft liegt, ist er erstens gesunken und zweitens geringer als bei den Verdächtigen einer Straftat. Denn Ausländer werden offenbar relativ häufiger verdächtigt denn verurteilt, und zudem häufig nach einer Teilstrafe abgeschoben. Den dennoch höheren Anteil im Vergleich zur Gesellschaft erklären die Statistiker auch mit der sozialen Struktur dieses Gesellschaftsteils: viele junge Männer ohne Arbeit.

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