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Politik: Historisch wird es morgen

Von Robert von Rimscha Natürlich – früher war alles anders. John F.

Von Robert von Rimscha

Natürlich – früher war alles anders. John F. Kennedy hat nach seinem umjubelten Berlin-Besuch 1963 erzählt, er werde seinem Nachfolger für Krisenzeiten einen Umschlag anvertrauen. „Geh’ nach Deutschland“, würde die Nachricht lauten.

Deutschland – das stärkt das Selbstvertrauen, dort gibt es Beifall, da schätzt man Amerika. Das ist nicht nur deutsch-amerikanische Geschichte, das ist vor allem die Geschichte des Westteils Berlins. Diese Zeiten sind vorbei.

Doch dafür, dass die Verhältnisse sich gewandelt haben, dass die Notgemeinschaft des Kalten Krieges durch etwas Neues, Schwierigeres ersetzt werden muss, sind die Deutschen im Grundsatz dankbar. Zu Recht.

George W. Bush hat seinen fälligen Höflichkeitsbesuch in Deutschland locker und unspektakulär hinter sich gebracht. Die Demonstranten waren spärlicher und friedlicher als erwartet; einzelne Proteste im Reichstag hält Bush allemal aus.

Im Reisegepäck hat er eine Lederhose als Präsent; und jetzt ist er in Moskau, dem eigentlichen Ziel seiner Reise. Es bleibt: eine Rede.

War sie nun historisch, wie zuvor angekündigt? Erstes Nein: Bush blieb sich und seinen Themen treu, auch seiner Sprache, die lyrisch überhöht, aber glasklare Gegensätze liebt. Zweites Nein: In Amerika hat niemand etwas von Bushs Worten mitbekommen, weil sein Land sich um eine ermordete Regierungs-Praktikantin kümmert. Drittes Nein: Deutschland hat zwar aufmerksam zugehört, doch morgen wird die Rede vergessen sein. Der auf deutsch formulierte Satz, die große Formel – beides fehlte.

Tatsächlich historisch ist etwas ganz anderes. Nochmals drei Punkte: Die Einbindung Russlands in ein neues Europa hat noch kein US-Präsident so deutlich gelobt und so überzeugend als endgültige Überwindung des Kalten Krieges gewertet. Wobei Bush nicht sagt, wozu eine größere Nato mit Freunden in Moskau auch dienen soll: den Rücken frei zu haben, falls es irgendwann einen Konflikt mit dem Land gibt, das die USA als strategischen Rivalen fürchten – China.

Zweitens: Wenn Saddam Hussein gestürzt wird, kann man sich an die Rede Bushs erinnern, der, ohne das Wort „Irak“ in den Mund zu nehmen, doch schon die nötigen Mittel benannte, von intelligenten Bomben bis hin zum Schutz vor B- und C-Waffen. Rot-Grün kann sich allerdings darüber freuen, dass man sich mit Bush bei einer Einschätzung trifft: Erst muss sich der Nahost-Konflikt erheblich entspannt haben, bevor Irak-Szenarien realistisch werden. Und letztlich: Historisch ist die Perspektive, die Bush seinem eigenen Handeln gibt. Zweimal benannte der US-Präsident, wie sehr er Amerikas aktuellen Krieg in der Kontinuität früherer Auseinandersetzungen sieht: gegen Faschismus, gegen Kommunismus, gegen Terrorismus.

Zweifel an seiner Entschlossenheit ließ er nicht. Als Trost gibt es Konsultationen für die Alliierten, eine klare Benennung der gemeinsamen Wurzeln Amerikas und Europas und ein paar Sätze über die gerechtere Welt, den „weisen“ Kampf gegen Armut und Aids. Bush hat den Deutschen damit gezeigt, dass er kein verbohrter Ideologe ist.

„Ich lebe unter einer Glocke“, scherzte er, und es sei frustrierend, die Stadt nicht sehen zu können. Das ist einfach, offen, ehrlich. Ob Bush tatsächlich irgendwann mit Schröder fischen gehen wird, lassen wir dahingestellt. Der Mann an der Spitze der einzigen Supermacht ist einer voller moralischer Prinzipien, aber kein hypermächtiges Monster: Das konnte jeder sehen, der es sehen wollte.

Und das ist gut für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Gut war Bushs Besuch auch für den Parlamentarismus der Bundesrepublik: Wolfgang Thierse, der Bundestagspräsident, hat Differenzen und Übereinstimmungen klarer benannt als es die Regierung gekonnt hätte.

Gut ist auch, dass US-Präsidenten sich nicht mehr allmorgendlich mit Sorgenfalten erkundigen, wie denn die Lage in Berlin sei, wie bei Kennedy.

Berlin ist im vereinten Deutschland aufgegangen, Deutschland geht im vereinten Europa auf. Schmälert das unseren Einfluss, unsere Bedeutung? Natürlich.

Amerika will Europa als Ansprechpartner. Je weiter dieses Europa gebaut wird, umso besser für uns – und für Amerika.

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